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Arrowhead
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Pädophilie. Eine Diskursgeschichte. (- Katrin M. Kämpf, 2021)

Beitrag von Arrowhead »

Das Beste vorweg: Auf der Seite des Verlags kriegt man das gesamte Buch kostenlos als PDF.
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5577-3/paedophilie/


Dieses Buch beansprucht für sich, "die erste ausführliche Geschichte des deutschsprachigen Pädophiliediskurses ab dem 19. Jahrhundert" zu bieten. Ob das so stimmt, ob von dieser "diskursanalytischen Perspektive" überhaupt etwas zu halten ist - naja, darüber könnte man wohl noch diskutieren. Auf den ersten Blick in das Inhaltsverzeichnis scheint aber zumindest das Versprechen der Ausführlichkeit gehalten zu werden: Ein Unterkapitel widmet sich allein der Geschichte des Pädophilie-Begriffs im 19. Jahrhundert, ein weiteres beleuchtet Nationalsozialismus und Pädophilie. Beides Zeitabschnitte, zu denen ich persönlich in diesem Kontext noch nicht so viel gelesen habe.

Mittlerweile habe ich geschätzt ein Drittel des Buches durch. Ganz genau kann ich es nicht sagen, da ich auch oft zwischen Kapiteln gesprungen bin, je nachdem, was mich gerade interessierte. Und einiges ist auch recht interessant. Zwei Kritikpunkte habe ich allerdings.

Die Autorin scheint zwar sichtlich um Neutralität bemüht, gelingen tut ihr dies jedoch nicht. Am vielleicht deutlichsten zeigt sich dies am Sprachgebrauch - Sex mit Kindern wird konsequent als "sexualisierte Gewalt" bezeichnet. Von jemandem, der sich auf die Fahne schreibt, hier eine "diskursanalystisch-machtkritische Arbeit" zu liefern, würde ich eigentlich erwarten, dass er solche Konstrukte kritisch hinterfragt. Oder, wenn das nicht drin ist, sie wenigstens nicht wie selbstverständlich reproduziert. Auf der anderen Seite des Spektrums ist wiederum auch gelegentlich von "pro-pädophilen Positionen" die Rede, was manchen Personen auch etwas sauer aufstoßen könnte. Also so, wie es ist, dürfte wohl kein Pädo wirklich glücklich damit sein. Das beißt sich irgendwie. Aber ohnehin beschleicht mich das Gefühl, dass es der Autorin letztendlich gar nicht um Pädophile an sich geht: Der Abschluss des Buches steht unter der Überschrift "Die Figur des_der Pädophilen als Stütze der cisheteronormativen Ordnung", und er spricht für sich.

Ebenfalls enttäuschend fand ich, dass die mMn. spannendste Frage von allen dann doch nicht besonders ausführlich beantwortet wird. Und zwar wäre das für mich die Frage: Wie konnte sich der Zeitgeist nach bzw. während den relativ fortschrittlichen 70ern wieder so dermaßen umkehren, dass diese "pro-pädophilen Positionen" komplett von der Bildfläche verschwanden?
Diese Frage wird natürlich nicht gänzlich übergangen, aber doch sehr knapp abgehandelt. Besonders die Rolle des modernen Feminismus erschöpft sich sicherlich nicht in dem, was uns im Buch präsentiert wird. Somit kommt auch an dieser Stelle leider wieder der Verdacht auf, die Autorin - übrigens, sie "lehrt und forscht zu Queer Studies" - habe Zusammenhänge hier bewusst oder unbewusst heruntergespielt, um nicht zu sehr gegen ihre eigene "Zunft" zu schießen.

Wirklich spannend fand ich allerdings einige der Gedanken im Kapitel "Pädophilie in der Technosecurity-Kultur", wo ein Ausblick gewagt wird. These: Wir befänden uns in einer "Risikogesellschaft", in der "die Antizipation und Vermeidung aller nur erdenklichen Bedrohungen und potenzieller Risiken zur dominanten Denkfigur" geworden sei. Das jetzt noch weiter auszuführen würde wohl den Rahmen dieses Startposts sprengen, aber ich halte es für durchaus (nach)lesenswert.
Liebesfluchten
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Re: Pädophilie. Eine Diskursgeschichte. (- Katrin M. Kämpf, 2021)

Beitrag von Liebesfluchten »

Vielen Dank für diesen sehr interessanten Beitrag.
"We have, according to the needs of history and our own whim, made children savages and sinners, but we have also maintained their innocence, a quality we seem to need much more than they do." (James Kincaid)
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Luna
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AoA: 6~11 flauschig sind!

Re: Pädophilie. Eine Diskursgeschichte. (- Katrin M. Kämpf, 2021)

Beitrag von Luna »

Danke, für den Buchtipp. Ich bin ca, bei der Hälfte angekommen.
Die staatliche Vernichtung von Puppen muss sich für ihre Besitzer wie die Ermordung eines geliebten Familienmitgliedes anfühlen. Konsequent gegen die politische Verfolgung und Inhaftierung von unschuldigen Menschen!

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