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Nzzzzzz

Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Nzzzzzz »

ens Tanner hat getan, was die Gesellschaft von ihm verlangte. Er sass seine Strafe ab und hat sich kastrieren lassen. Doch wie findet ein Pädophiler zurück ins Leben?
von Samanta Siegfried 21.4.2018

«Stellen Sie sich vor, Sie gehen eines Tages an einem Spielplatz vorbei und merken plötzlich: Ich stehe auf Kinder. Wem werden Sie sich anvertrauen?»


Jens Tanner steht am Flussufer und hadert mit dem Sinn des Lebens. «Ich begreife weder die Welt noch unsere Existenz darin.» Es ist der 16. Juni 2017, einer der ersten warmen Tage dieses Jahres. Doch während zahlreiche Menschen sehnsüchtig nach draussen strömen, ist Tanner keinerlei Freude anzusehen. Gerade so, als würde sein bleicher, aufgedunsener Körper die Sonne abstossen, als hätte er keinen einzigen dieser Strahlen verdient. Die dünnen, braunen Haare hat er nach hinten gebunden. Blassgrüne Augen blicken hinter einer randlosen Brille hervor. «Es muss doch ein Wozu geben», sagt er. «Es muss einfach so sein.»

Seit zwei Tagen ist Tanner ein freier Mann. Nach zehn Jahren Strafvollzug. Zehn Jahre, in denen sein Leben einzig daraus bestand, vermeiden zu lernen, was er begehrte. Indem er einen der stärksten Triebe des Menschen unterdrückte. Jetzt, da er draussen ist, drängt sich die Frage auf: «Kann der Sinn des Lebens einzig mit Vermeiden gefüllt werden?»

Tanner, 51 Jahre alt, ist pädophil. Genauer: Er leidet an einer «pädophilen Nebenstörung und Hypersexualität». Er wurde bereits zweimal wegen sexueller Handlungen mit vorpubertären Mädchen verurteilt, das letzte Mal zu einer therapeutischen Massnahme nach Artikel 59 des schweizerischen Strafgesetzbuchs. Raus kommt nur, wer als therapiert gilt. Bei einer unheilbaren psychischen Störung wie Pädophilie ein schwieriges Unterfangen.
Fatales Outing

Das erste Mal traf ich Tanner im Sommer 2015. Damals stand er kurz vor dem Übertritt in eine offene Vollzugsanstalt in seinem Schweizer Heimatort, es sollte seine letzte Station vor der Freiheit werden. Man hatte ihn langsam darauf vorbereitet. Nach den ersten Jahren in Untersuchungshaft und in geschlossenen Strafanstalten hat er den Grossteil seiner Strafe in offenen Vollzugsanstalten abgesessen, jenen, die den Täter Schritt für Schritt in die Gesellschaft zurückholen. Auf begleitete Ausgänge folgen unbegleitete, erst wenige Stunden, dann über Nacht, übers Wochenende. Später wird der Wohnort, schliesslich der Arbeitsort ausgelagert.

Doch je näher seine Freilassung rückte, umso mehr wurde Tanner vor Augen geführt, was er sich viele Jahre zuvor schmerzhaft eingestanden hatte: Ich bin der Abschaum der Gesellschaft.

Wenige Monate vor seiner Entlassung musste er aus einer Wohngemeinschaft ausziehen. Es war die erste Wohnung seit zehn Jahren, die er mit Menschen ohne kriminelle Vergangenheit teilte. Doch Tanner hatte sich Ziele gesetzt für die Zeit draussen. Und er ist einer, der es genau nimmt mit solchen Dingen. «Sobald ich jemandem vertraue, erzähle ich mein Delikt», lautete eines.

Denn während des Vollzugs hatte er sich daran gewöhnt, offen über seine Vergangenheit zu sprechen. Alle verlangten von ihm äusserste Transparenz, er musste sein Innerstes ausbreiten. Doch draussen ist diese Offenheit nichts Geringeres als sozialer Selbstmord. Das Outing vor seinen neuen Mitbewohnern, einer Physiotherapeutin und einem Sozialarbeiter, beide weltoffen, politisch links, gebildet, umweltbewusst, ging schlicht und einfach in die Hose. Wer will schon mit einem «Pädo» zusammenleben?

«Was erwarte ich von der Gesellschaft?», fragt Tanner. «Eine Hinrichtung wäre einigen wohl lieber gewesen.»

Dabei hat Tanner doch alles in seiner Macht Stehende dafür getan, um sich zu verändern, um keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darzustellen. Er hat sich nehmen lassen, was jedem Mann wertvoll ist, das Männlichste überhaupt, für immer. Er hat sich kastrieren lassen. Erst chemisch, dann chirurgisch. «Aber was erwarte ich von der Gesellschaft?», fragt er abgeklärt. «Eine Hinrichtung wäre einigen wohl lieber gewesen.»

Deswegen heisst Tanner im echten Leben anders. Keine andere sexuelle Präferenz wird gesellschaftlich mehr geächtet als die für Kinder. Das ist verständlich, weil sie Opfer generieren und irreversiblen Schaden anrichten kann. Das ist aber auch gefährlich, weil das extreme Tabu Betroffene eher zu Tätern werden lässt. Deswegen werden Experten nicht müde, einen differenzierten Umgang mit dem Thema zu fordern.

«Je eher jemand über seine Störung spricht und sich therapieren lässt, desto niedriger die Chance, Täter zu werden», sagt Monika Egli-Alge vom Forensischen Institut Ostschweiz (Forio), einer Fachstelle für Pädophile nach dem Vorbild der Berliner Charité. Die einzige dieser Art in der Schweiz. Als frühere Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche kam Egli-Alge oft mit den Folgen von sexuellen Übergriffen in Kontakt, bis sie irgendwann realisierte: «Wenn man Opfer vermeiden will, muss man bei den Tätern ansetzen.» Denn das ständige Verheimlichen ihrer Bedürfnisse treibt Pädophile in eine einsame Welt, zu der niemand Zutritt hat. Das kann zu Depressionen führen, Drogenproblemen, Suizid. Und es begünstigt Übergriffe. Wie bei Jens Tanner.

Ausgerechnet während seiner Zeit als Pastor, Tanner ist bereits 28 Jahre alt, entdeckt er das erste Mal seine Neigung für vorpubertierende Mädchen. Zufällig beobachtet er sein achtjähriges Patenkind beim Umziehen und merkt, dass es ihn erregt. Bis zu seiner ersten Verhaftung im Jahr 2001 vergeht er sich insgesamt vier Mal an ihr. Das Mädchen war aufgrund schwieriger familiärer Verhältnisse in psychologischer Betreuung und erzählte dort von Tanners Annäherungen, von seinen Berührungen.
«Ich bin überbordet»

Nach sieben Wochen Untersuchungshaft wird er zu zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, aufgehoben für eine ambulante Therapie. Doch die wöchentliche Gruppentherapie nützte wenig. Von einer Tateinsicht, zentrale Voraussetzung, um die Neigung in den Griff zu bekommen, war er damals meilenweit entfernt. So ist seine Haft noch nicht zu Ende, als er bereits die nächsten Übergriffe plant.

Im Netz sucht er nach einer Frauenbekanntschaft. Dass die Auserwählte auch eine achtjährige Tochter hat, kommt ihm ganz gelegen. Wenn die Mutter nicht zu Hause ist, nähert er sich ihr an. Später weitet er seine Übergriffe auf zwei ihrer Freundinnen aus. «Ich bin überbordet», beschreibt es Tanner, als hätte er etwas über den Durst getrunken. «Ich betrog mich selbst, mein Umfeld und dann schlitterte ich wie ein Wagen auf dem Eis.» Es dauerte nicht lange, bis ihn eines der Mädchen verriet. Das erste Opfer jedoch, die Tochter der Partnerin, hat noch lange geschwiegen.

Zu Pädophilie gibt es viele Zahlen. Sie beruhen auf internationalen Schätzungen von Wissenschaftern, die anhand unterschiedlicher Studien versuchen, sich diesem Minenfeld zu nähern. Demnach soll ein Prozent der Schweizer Bevölkerung pädophil sein. Das sind etwa so viele, wie an Schizophrenie erkranken. Nicht alle Pädophile werden zu Tätern, und nicht alle Täter sind pädophil: Rund 40 Prozent der sexuellen Übergriffe werden von pädophil veranlagten Männern begangen.

Bei allen anderen spricht man von sogenannten Ersatztätern, die etwa aus Eifersucht, Rache oder Machtansprüchen den sexuellen Kontakt zu Kindern suchen. Von allen Übergriffen werden 75 Prozent im nahen Bekanntenkreis verübt. «Die Bevölkerung glaubt noch immer an das Bild des bösen fremden Mannes, der aus dem Busch springt und Kinder missbraucht», sagt Egli-Alge. Vielleicht, so die Psychologin, weil das andere nicht sein kann, nicht sein darf.

Viele Opfer reden nie. Manche aus Scham oder Angst. Oft rühre das Schweigen jedoch von einer Unkenntnis her. «Manche merken lange gar nicht, dass es sich um einen sexuellen Übergriff handelt», sagt Egli-Alge. Ein Grund dafür ist eine bei Tätern gängige Vorgehens-Methode, die man Grooming nennt, was so viel heisst wie «etwas pflegen, vorbereiten, zurechtmachen». In diesem Kontext: sich das Vertrauen des Kindes erschleichen.

«Viele Täter sind sich dieses Schemas anfangs nicht bewusst», sagt der psychiatrische Forensiker Thorsten Spielmann, seit eineinhalb Jahren Tanners Therapeut. Sätze wie «Plötzlich stand das Kind nackt vor mir» seien keine Seltenheit. Der Täter versuche die Tat, so lange es geht, zu rechtfertigen, am meisten vor sich selbst. «Wer gesteht sich schon gerne ein, Opfer generiert zu haben?» Auch Tanner geht nach dieser Methode vor, sich anschleichend, Vertrauen gewinnend. «Ich wollte Verantwortung an das Opfer abgegeben, etwa in dem ich sie fragte, ob es ihr auch gefalle», sagt er heute. «Nur so konnte ich meine Selbstverachtung ertragen.»

Als Tanner im Februar 2007 zum zweiten Mal verhaftet wird, verspürt er beinahe Erleichterung.

Heilen kann man Pädophilie nicht, aber kontrollieren lernen. Je nach Ausprägung ist das eher besser oder weniger gut möglich. Leicht ist es bei niemandem. Die Psychologin Egli-Alge spricht von drei Zielen, die Betroffene erfüllen müssen, um die Störung in den Griff zu bekommen. Erstens: Keine Delikte (mehr) begehen. Zweitens: Akzeptanz der Störung. Nur wer die Pädophilie als Teil von sich akzeptiert, kann lernen, sie zu kontrollieren. Das sei mitunter der schwierigste Punkt und erfordere viel Bewusstseins- und Trauerarbeit. Dann erst kann man sich dem dritten Ziel zuwenden: Und jetzt? Strategien für das Leben mit der Neigung entwickeln.
Wie Tanzen ohne Musik

Bei Tanner dauert es Jahre, bis er realisiert: «So, wie ich bin, kann ich mir nicht vertrauen. So, wie ich bin, wird es weitere Opfer geben.» Entscheidend für diese Erkenntnis ist die Konfrontation mit seiner Vergangenheit. Tanner erfährt als kleiner Bub, was es heisst, unerwünscht zu sein. Die Mutter schizophren, überfordert, tablettensüchtig. Tanner kommt in die Kinderpsychiatrie, dann in eine Pflegefamilie, dann in ein Waisenhaus. Bis zu seiner Pubertät ist der Stiefvater der einzige Mensch, der ihm an den Wochenenden Zuneigung schenkt. Dass dessen Fummeleien an seinem Glied eine falsche Form der Zuneigung sind, weiss Tanner damals nicht.

Erst als er die Grenzüberschreitung seines Stiefvaters als solche erkennt, kann er sich selbst als Täter sehen. Und die entscheidende Frage stellen: «Was muss ich tun, damit die Gesellschaft vor mir sicher ist?»

Operative Kastration ist günstiger und effektiver als chemische. Einziges Hemmnis: Sie ist unumkehrbar.

Zuerst fängt Tanner an, sich Antiandrogene zu spritzen. Androcur, dann Zoladex, Medikamente, die den Testosteronspiegel praktisch auf null sinken lassen, auf ein sogenanntes Kastrationsniveau. Die Neigung bleibt, doch der Trieb wird reduziert, und damit beruhigen sich auch die Phantasien. «Die Sexualität bekam etwas Befremdendes», beschreibt es Tanner. «Wie wenn du Menschen tanzen siehst, aber die Musik dazu nicht hörst.»

Langsam gewinnt sein Verstand wieder die Überhand. «Vor der Kastration lernte ich, zu vermeiden, was ich begehrte», sagt er. Erst als das Begehren reduziert wurde, konnte er sich der Therapie öffnen. Tateinsicht, Opferempathie, Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit – nicht mehr vom Trieb gesteuert, ergab alles auf einmal Sinn. «Ich hatte wieder das Steuer in der Hand.»
Heilen kann man Pädophilie nicht. Nur wer die Veranlagung als Teil von sich akzeptiert, kann lernen, sie zu kontrollieren.
Heilen kann man Pädophilie nicht. Nur wer die Veranlagung als Teil von sich akzeptiert, kann lernen, sie zu kontrollieren.

Pädophile sind im Durchschnitt 15 bis 17 Jahre alt, wenn sie ihre Neigung bemerken. Das sagen erste Ergebnisse einer noch laufenden Studie des Forio in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité. Versuche, zu ergründen, warum jemand eine Neigung für Kinder entwickelt, blieben bisher weitgehend erfolglos. Genauso wenig, wie andere sexuelle Veranlagungen nachgewiesen werden können. Dass Betroffene in ihrer Kindheit selbst Opfer von Übergriffen wurden wie Tanner, trifft zwar auf einige zu, aber eben längst nicht auf alle. «Viele Pädophile verzweifeln schier ob der Warum-Frage», sagt Egli-Alge.

Dass Tanner seine Neigung erst Ende zwanzig bemerkte, hat einerseits damit zu tun, dass er sie als praktizierender Christ lange unterdrückte. Andererseits damit, dass er nicht kernpädophil ist, heisst, ihn auch Erwachsene sexuell ansprechen. Eigentlich ein Glück für ihn, wäre da nicht sein ausgeprägter Sexualtrieb. «Der Verzicht auf Sexualität bedeutete für Herrn Tanner einen enormen Verlust an Lebensqualität», sagt sein Therapeut Spielmann. «Das hat dazu geführt, dass er nach der ersten Verhaftung gar nicht erst versucht hat, Opfer zu vermeiden.»

Gerade in solchen Fällen ziehen Therapeuten oft eine chemische Kastration in Betracht. Doch für Tanner waren die Medikamente nur der Anfang. Er ist keiner, der halbe Sachen macht. Das war schon immer so. «Veränderung muss etwas kosten», ist er überzeugt. Hätte er die Medikamente ein Leben lang genommen, und das war durchaus, was er vorhatte, hätte das ebenfalls zu einer Verkümmerung seiner Hoden geführt. Ausserdem bringen sie zahlreiche Nebenwirkungen mit sich wie Brustwachstum, Depressionen, Osteoporose oder Gewichtszunahme. Für Tanner mit seinen 135 Kilo ohnehin ein Risikofaktor.

Die chirurgische Kastration von Sexualstraftätern ist ethisch umstritten. Der erste, freiwillige Eingriff weltweit fand 1896 in der Schweiz statt. Deutschland, geprägt von Zwangskastrationen in der Nazizeit, erlaubt die freiwillige Entfernung der Hoden seit 1969. Während das Anti-Folter-Komitee des Europarates die Praxis lieber wieder beenden würde, ist sie hingegen in Tschechien ein gängiges Druckmittel, um einer Verwahrung zu entgehen.

Bei der Operation wird die Hormondrüse entfernt, die 95 Prozent des Testosterons im Mann produziert. Die übrigen fünf Prozent werden in anderen Geweben aus Vorläufern des Testosterons gebildet. Faktisch ist sie gesünder und günstiger als die chemische – und effektiv. Chirurgisch kastrierte Sexualstraftäter weisen eine Rückfallquote von maximal drei Prozent auf. Das einzige Hemmnis: Der Eingriff ist unumkehrbar.
Vorgeschobene Prostata-OP

«Eine Operation kann nur erfolgen, wenn der Sexualstraftäter dieser zustimmt und urteilsfähig ist», sagt der erfahrene Schweizer Forensiker Josef Sachs. Er gehört zu jenen Gutachtern, die beurteilen müssen, ob sich der Betroffene über die Konsequenzen seines Vorhabens im Klaren ist. Zahlen, wie viele sich in der Schweiz freiwillig die Hoden entfernen lassen, kennt er keine. Aber es seien «äusserst seltene Fälle».

Auch Tanner bekommt ein Gutachten von Sachs, in dem er ihm die 100-prozentige Urteilsfähigkeit bestätigt. Er liegt bereits auf dem Spitalbett, bereit für die Operation, als der leitende Arzt das Vorhaben abbricht. Erst heisst es, der Eingriff müsse verschoben werden, dann, er werde nicht durchgeführt. Mit der Begründung, die chemische Kastration erfülle ihren Zweck. Tanner versteht die Welt nicht mehr. War es nicht das Maximum, was er für sich und die Gesellschaft tun konnte? Warum wird er zurückgewiesen?

Zurück im Vollzug, verfasst Tanner einen Beschwerdebrief an den leitenden Arzt, Juni 2014:

«Mein Entscheid erwuchs aus der Erfahrung, dass sowohl ich als auch meine Opfer unter meiner Sexualität unsäglich gelitten haben. (...) Ich kann mir ein Leben ohne Kastration weder vorstellen noch verantworten. (...) Ethische Begründungen scheinen mir geheuchelt. Oder soll es einem rückfällig gewordenen Sexualstraftäter wirklich untersagt sein, sich von seinen Hoden zu trennen?»

Mithilfe seiner Vollzugsbetreuer findet Tanner schliesslich doch noch einen Weg, sein Vorhaben umzusetzen. In einem anderen Spital, als offizieller Prostata-Patient.

«Vielleicht war der Eingriff etwas übertrieben», sagt sein Therapeut Spielmann. «Aber immerhin hat es ihn zu einem entscheidenden Wendepunkt geführt.» Nämlich dahin, sich dem dritten Therapieziel zu öffnen: Strategien für das Leben mit der Neigung entwickeln.

Hat jemand die Störung im Griff (Ziel eins: Keine Übergriffe mehr begehen), sprechen Fachpersonen von einem gelungenen Risikomanagement. Dazu gehört es, Orte zu meiden, an denen sich Kinder im deliktrelevanten Alter aufhalten: die Badi, den Zoo, Spielplätze. Oder Eltern mit vor-pubertären Töchtern. Und zu lernen, auf solche Begegnungen zu reagieren. Heisst: wegschauen, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken. Was simpel klingt, erfordert hartes Training. «Richtig gut bist du dann, wenn es automatisch passiert», sagt Tanner. Das sei ja das Geniale am menschlichen Gehirn, dass es Abläufe automatisieren könne.
Leben im «Grüselhaus»

Er weiss, er muss jetzt sein eigener Therapeut sein. Als Hilfestellung dient ihm ein Kompass, eine Methode, die er bereits im Vollzug zur Eigenkontrolle entwickelt hat. Anstelle der Himmelsrichtungen stehen dort die Begriffe «Delikt» und «deliktfrei». Vor jeder Situation, vor jeder Begegnung, jedem Buchkauf, jedem Netflix-Stream checkt er ab: In welche Richtung steuert mein Vorhaben die Kompassnadel? Diese Frage bilde bis heute die Grundlage seiner Entscheidungen. Noch einmal im Monat sitzt er zudem Thorsten Spielmann gegenüber, der ihn fragt: «Haben Sie irgendetwas Deliktrelevantes erlebt?» Tanner sagt, er sei froh um diese Frage.

Aber wer kann Tanner draussen sein? Jemand, der seine Pädophilie «besiegte»? Dem man dazu gratuliert und alles Gute wünscht? Insgeheim hatte er sich zumindest etwas ähnliches erhofft. Gerne hätte er dabei geholfen, über das Thema aufzuklären. Er könnte Lehrern, Polizisten oder Psychologen Red und Antwort stehen. Schliesslich wisse er, wie Pädophile ticken, wie sie sich selbst und andere austricksen. Seine Innenansicht könnte nützlich sein. «Schreib in deinem Bericht unbedingt, dass man über dich mit mir Kontakt aufnehmen kann», insistierte er bei einigen Treffen.

Doch spätestens, als er nach dem WG-Flop in eine Sozialwohnung zieht, die sich bald als ein «Grüselhaus» entpuppt, in der er die verdreckte Küche meidet und stattdessen kalt isst, aus Ekel vor der Toilette in leere Eisteeflaschen pinkelt und auf einem mitgebrachten Schemel duscht, um nicht in der aufgestauten Brühe zu stehen, landet er unsanft auf dem Boden der Tatsachen.

In dieser Zeit sagt er oft abgeklärte Sätze wie «Ich bin ein Täter in einer verschissenen Situation, das ist alles» oder «Meine Integration ist eine Integration in die Unterwelt, dort, wo alle Straftäter landen». Das Betreuungsteam der Vollzugsanstalt macht sich grosse Sorgen, begleitet ihn noch engmaschiger. Denn Frust wird gerne kompensiert. Auf die Schnelle geht das am besten mit Alkohol, Drogen, Gewalt – oder Sex. «Es spricht für ihn, dass er es in dieser Phase geschafft hat, seine Anstrengungen, ein normales Leben zu führen, aufrechtzuerhalten», sagt Spielmann. Nein, eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nie, aber «wir sind überzeugt – so sicher man sich eben sein kann –, dass er uns nicht an der Nase herumführt».

Der Forensiker wünscht sich seit langem einen offeneren Umgang mit der sexuellen Präferenz. «Wir versuchen, psychisch erkrankte Menschen jeglicher Art zu integrieren. Das sollte auch für Pädophile möglich sein.» Zum Beispiel, indem man aufzeige, dass sich hinter den Betroffenen individuelle Biografien verbergen und dass auch sie Opfer ihrer Sexualität sind.

Dazu macht er gerne ein Gedankenexperiment: «Stellen Sie sich vor, Sie gehen eines Tages an einem Spielplatz vorbei und merken plötzlich: Ich stehe auf Kinder.» Ein hartes, schmerzhaftes Los. «Wem werden Sie es anvertrauen?» Trotzdem hatte er versucht, Tanner von dem Outing abzuhalten, wissend, dass die Gesellschaft nicht bereit ist, sich auf eine sachliche Diskussion einzulassen. «Eine Resozialisierung ist schon schwer genug, auch ohne Geständnis.» Dabei wäre soziale Unterstützung ein wichtiger Schutz vor Rückfällen. «Aber wenn selbst auf Vorurteile geschulte Menschen nicht bereit sind, einen ehemaligen Pädo-Kriminellen zu akzeptieren. Wer soll es sonst sein?»

Es ist Anfang Dezember 2017, der Winter kündigt sich mit einer kalten Bise an, als Jens Tanner sich so gut fühlt wie seit zehn Jahren nicht mehr. Er hat jetzt Farbe im Gesicht und wirkt weniger aufgedunsen als früher. Angefangen hat es mit dem Umzug in eine 1-Zimmer-Wohnung, die er trotz seinem Schuldenberg durch Glück bekommen hat. Es folgten erste Begegnungen mit fremden Menschen in der Stadt. «Solchen, die freiwillig mit mir sprachen. Nicht weil sie mussten.»

Später legte ihm ein Arzt offen, dass er seit vielen Jahren unter einer extremen Schlafapnoe leide. Mit so vielen Atempausen in der Nacht, dass er längst tot sein könnte. Und als hätte ihm diese Nachricht neues Leben eingehaucht, kauft er sich Turnschuhe und fängt an, zu laufen. Im Schritttempo, flussauf- und abwärts.

Anfangs hat er Blasen überall, die Gelenke brennen. Er macht weiter. Bis heute läuft er täglich die fünf Kilometer zur Arbeit, einer 50-Prozentstelle bei einer Sozialfirma, und zurück. Er misst sich auf Apps mit anderen Übergewichtigen und tauscht sich in Facebook-Gruppen aus. Über den Sinn des Lebens zerbricht er sich jetzt nicht mehr den Kopf. «Ich habe jahrelang an meinem Inneren gearbeitet», so Tanner. «Jetzt ist das Äussere dran.» Spielmann sieht darin Kompensationsstrategien, Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl wieder zu stabilisieren.
Konversion zum Atheismus

«Da ist noch ganz viel in mir, das nicht pädophil ist», sagt Tanner. «Dieser Teil muss den Weg in die Gesellschaft finden.» Das ist Jens Tanner, der mit Aquarellfarben malt. Mit seiner Vorliebe für Fantasy-Spiele, Metal und Pink-Floyd. Der heute bekennender Atheist ist. Das ist Tanner, der Wert darauf legt, die Strassenkehrer zu grüssen, wieder guten Kontakt zu seinem erwachsenen Sohn pflegt, statt Chips jetzt Cherry-Tomaten auf dem Sofa isst und sich kürzlich eine fünf Kilo schwere Hantel gekauft hat. Seit er mit Laufen angefangen hat, ist er bereits fünfzehn Kilo leichter. Bis im Sommer will er 80 wiegen. «Ein ambitioniertes Ziel», räumt er ein. «Aber ich habe schon viel Krasseres geschafft als abnehmen.»

Outen wird er sich so schnell nicht mehr. «Es wird mir niemals möglich sein, als der angenommen zu werden, der ich bin. Mit allem, was dazugehört», sagt Tanner. Doch mittlerweile glaubt er, dass die Gesellschaft gar nicht äusserste Transparenz will. Und wahrscheinlich müsse man sie auch damit verschonen.
Es trifft auch Frauen

Pädophilie ist ein überwiegend, aber nicht ausschliesslich männliches Problem. 5 bis 10 Prozent aller Pädophilen seien Frauen, sagte der Sexualtherapeuten Claus Buddeberg in einem Interview – doch führe die Neigung bei ihnen seltener zu sexuellen Handlungen. Kommen Missbrauchsfälle von Frauen ans Licht, dann häufig solche von Müttern gegenüber ihrem Kind. Solche Frauen gelten jedoch häufig als «Ersatztäterinnen» ohne pädophile Neigung, die Kinder aus Einsamkeit oder Wut missbrauchen. Sexuelle Übergriffe in Familien werden besonders selten aufgedeckt, wenn sie von Frauen ausgehen; der Entscheid, die eigene Mutter anzuklagen, setze Opfern «immens» zu, sagt ein Anwalt in einem Dok-Film zum Thema.
Jemand der Straftaten begangen hat und sich kastrieren hat lassen will wissen "wie Pädophile ticken"?
Ich glaube nicht!

Die NZZ war mal besser :(
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Sakura
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Sakura »

Einfach widerlich, dieser Artikel.
Mehr fällt mir dazu erstmal nicht ein.
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LeGo
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von LeGo »

Es war wirklich nicht leicht sich da durchzubeißen.

Jetzt würde ich gerne etwas gutes im Artikel hervorheben, aber er ist einfach so ekelhaft und heuchlerisch... Samanta, ich mag Dich überhaupt gar nicht.
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Aiko »

Hab nach nichtmal der hälfte abgebrochen.
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von LeGo »

da bin ich wenig überrascht, Aiko.
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von 712 »

Ich breche gleich vorm ersten Buchstaben ab.
Wen ich liebe, den will ich auch nicht essen. :D
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Sakura
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Sakura »

Ich bezweifle, dass der Protagonist dieses Schmierentheaters wirklich existiert.
Der Name, den man ihm gegeben hat, soll wohl ein Tritt gegen Frau Tanner aus der Schweiz sein, die ITP Arcados gegründet hat und sich leider nicht mehr wehren kann, weil sie 2010 verstorben ist.

Was in dem Artikel steht, ist die Pervertierung von allem, wofür sie gestanden hat! :evil:

http://www.itp-arcados.net/beratung.html

Unter dem Text findet ihr unter "Texte zur ITP-Beratung" ein paar Informationen zu den Hintergründen.
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Mitleser »

Wirklich ein Schmierentheater erster Güte. "Der Pädophile: Ein sexbesessenes Monster, was sich nicht unter Kontrolle hat und sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit an Kindern vergreift. Therapie hilft nur bedingt, erst mit Kastration ist der Trieb besiegt." :evil:
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von surfbrätti »

Tanner sollte sich die Gesellschaft (und davor auch das Christentum) weniger zum Leitbild machen.
Dann würde er vielleicht erkennen, dass ein Mann Mädchen auch lieben kann.

Ich persönlich komme sehr gut damit zurecht, ein gesellschaftlicher Grenzgänger zu sein. So kann ich besser darüber nachdenken, was für mich und die Mädchen in meinem Umfeld das beste ist, und komme so recht einfach zum Schluss, das fickificki ungünstig ist, jedoch gemeinsam Spaß haben fein ist.

Für wen die Gesellschaft der Maßstab ist, muss als Pädo zu Selbstverachtung gelangen.
Der dumme Tanner ist einfach unfrei von vorne bis hinten. Das daraus nichts Gutes erwachsen kann, überrascht mich nicht.

Und dann dieser Kastrations-Schwachsinn. Der Typ ist ein Trottel und der Artikel ist siffige Kastrations-Propaganda.

Tanner und seine "Integration" sind so dumm, da möchte ich mit dem Kopf an die Wand hämmern.
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Horizonzero »

Mich wundert ein biserl das diese Samatha für den Artikel ihr sonstiges Metier verlassen hat und ein solches Thema aufgegriffen hat - und sich eines individuellen Lebensverlaufes (diesem Jens) angenommen hat. Inhaltlich spiegelt es die oberflächliche Sicht des Volksmundes und bedient dessen Kastrationsphantasie. Man sollte versuchen diesen Jens ausfindig zu machen und eruieren ob das Geschriebene mit seinen gemachten (wenn überhaupt) Angaben einhergeht. Und die Nzz ggfs. zu einer Gegendarstellung zwingen.
679KCNGQQ (Teleguard)
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Cocolinth »

@ Horizonzero


Falsche Stoßrichtung. Komplett ineffektiv.

Beim fernöstlichen Kampfsport gibt es im Wesentlichen 2 Haupttechniken: die Yin-Technik, und die Yang-Technik.

Was du versuchst, ist klassisches Yang: du pochst auf dein Recht. Willst die Sache konstruktiv geraderücken. Du hältst also gegen.

Problem: das Yang des Gegners -- die mehrheitsgesellschaftliche Antösie -- ist übermächtig. Gegenthalten bringt wenig bis gar nichts, wirkt im Gegenteil mitunter erbärmlich.

Dem steht das Yin entgegen: die destruktive Kraft des Mitschwingens. Also nicht Gegenhalten sondern DRAUFHALTEN.

Mit dem Yin bringt der Judoka übermächtige Gegner zu Fall. Er nutzt die unbändige Kraft seines Gegners und lenkt sie gegen diesen selbst.

Also, was heißt das konkret?

Na zum Beispiel:
  • Vereinigung für Radikalen Kinderschutz -- VeRaKiS e.V. -- gründen.
  • Mit antipädophiler Holocaust-2.0-Hetze Mitglieder werben, Demos organisieren.
  • Plakate mit lasziven 17-Jährigen hochhalten.
  • "Kastration für Alle!" fordern, die sowas erregend finden.
  • Gegenredner als "Pädoversteher", "Kinderschändersympathisanten" etc. verunglimpfen.
  • Sich rechtzeitig absetzen.
  • Zuschauen, wie sich die Mehrheitsgesellschaft selbst zerfleischt.
:cool:
Sex mit Kindern ab 14 ist (in D) per se legal:
  • „Der Gesetzgeber traut diesen zu, über ihre Sexualität in einem gewissen Umfang selbst zu bestimmen. […] eine pauschale Strafbarkeit besteht somit nicht. [Nur] In besonderen Fällen ist […] der Sex […] unter Strafe gestellt.“
(Thx @ ChrisGL&Anwalt)
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Ovid
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von Ovid »

Der Forensiker wünscht sich seit langem einen offeneren Umgang mit der sexuellen Präferenz. «Wir versuchen, psychisch erkrankte Menschen jeglicher Art zu integrieren. Das sollte auch für Pädophile möglich sein.»
Integration? Ok, aha. Mal gucken wie das geklappt hat.
«Da ist noch ganz viel in mir, das nicht pädophil ist», sagt Tanner. «Dieser Teil muss den Weg in die Gesellschaft finden.»
Nicht wirklich gut. :lol:

Nicht den geringsten Funken Selbstakzeptanz haben sie dem armen Mann gelassen.

Die Story stimmt vielleicht... der Name ist sicher verfremdet. Mir ist auch aufgefallen wie ausgerechnet Tanner als Nachname verwendet wurde. Ist schon etwas suspekt. :roll:
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naylee
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Re: Pädophilie: Lebenslang ausgeschlossen vom Leben

Beitrag von naylee »

Tanner... erinnert mich irgendwie an Driver 1 (1999, lief auf der PS 1 und auch auf PC)



Coco... ne typische Antwort von dir... geil :mrgreen:
Wie nur kann ich derjenige sein, vor dem die Kinder dieser Welt gewarnt werden, von dem sie sich fernhalten sollen, wenn sie doch meine Gegenwart ganz und gar erbaulich finden?
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