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panda
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Fischer im Spiegel: Polizeiliche Statistik vs. kriminelle Realität

Beitrag von panda »

Die PKS ist eine Statistik über Anzeigen und über Verdächtige. Als Anzeige gilt alles, was der Polizei irgendwoher bekannt wird, daher auch alle Erkenntnisse aus allgemeinen, ungerichteten Ermittlungen. Wer in den genannten Statistiken als Täter gilt, ist in Wahrheit nur ein Tatverdächtiger. Es ist der Polizei überhaupt nicht zugänglich festzustellen, ob der Verdächtige die Tat wirklich begangen hat. In der Statistik wird aber jeder Fall, bei dem irgendeine Person als tatverdächtig eingetragen wird (warum auch immer), als aufgeklärt bezeichnet.
Quelle https://www.spiegel.de/panorama/endlich-was-tun-a-2035d8a7-c034-4e18-b12a-77f4abec9099
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Arrowhead
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Re: Fischer im Spiegel: Polizeiliche Statistik vs. kriminelle Realität

Beitrag von Arrowhead »

Nicht sein stärkster, aber dennoch wieder ein schöner Artikel von Fischer. Ist auch in Gänze lesenswert. :)
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Luna
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Re: Fischer im Spiegel: Polizeiliche Statistik vs. kriminelle Realität

Beitrag von Luna »

Den Namen muss ich mir merken. Über die PKS habe ich mich das letzte Jahr schon genug aufgeregt. Denn es wird so oft in der Politik zitiert.

Zum Beispiel beim Thema Kinderpornos. Wenn die Täter unter 14 Jahre alt sind, wird das Verfahren selbstverständlich schnell eingestellt. Trotzdem tauchen sie in der Statistik als ein weiterer Fall von vielen auf. Unabhängig davon, ob sie verurteilt werden oder nicht. Kinder und Jugendliche tauschen Material im Klassenchat. Klar, dass das dort schnell aufgedeckt wird. Ich vermute aber das diese „Tätergruppe“ eher harmloses Material tauscht und nicht so widerliches Gewaltmaterial wie der Sadist in Wermelskirchen produziert hat. Trotzdem ist das was die Kids auf dem Schulhof tauschen verboten und ihre Taten fließen ebenfalls in die Statistik ein. Wie viel Kinder sind eigentlich in einem Klassenchat, 25? Mitgehangen, mitgefangen. Bist du unter 14 Jahre alt hast du noch mal juristisch gesehen Schwein gehabt. Die Kriminalstatistik zählt wegen dem Besitz aber alle Kinder aus dem Chat. PKS Statistik +25

Demagogen sprechen dann von: „Das waren abscheuliche Taten von Pädokriminellen die „schwere Pädophilie an Kinder begangen haben“. „Wir kriegen alle Pädophile. Nicht heute aber irgendwann“.

Natürlich ist auch die Melde- und die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung gewachsen und so wird auch mehr aufgedeckt als früher. Betreiber von soz. Plattformen scannen bereits automatisch nach Kinderpornographischen Inhalten (Hashwerten) und schicken die Treffer automatisiert an das BKA weiter. Künftig sollen KI eingesetzt werden, die anhand einer Wahrscheinlichkeitsberechnung (nicht Fehlerfrei) Inhalte nach noch unbekannten Kipo durchforsten sollen. Körpergröße deutet auf ein Kind hin. X-Prozent Hautfarbe deutet auf Nacktheit hin. Dadurch steigen logischerweise die Zahlen in der Statistik weiter an und das wegen der Fehlerrate explosionsartig.

Der Anstieg bedeutet aber nicht das mehr Material getauscht wird. Es bedeutet einfach nur das mehr aufgedeckt und gemeldet wird. Das mehr Dunkelfeld zum Hellfeld gemacht wird. Es wird aber auch mehr kriminalisiert. Denn Pornoaufnahmen mit Kinderpuppen zählen mittlerweile auch zu Kinderpornographie.

Der Normalbürger beschäftigt sich mit der ganzen Thematik natürlich nicht so wie wir. Erstaunlich das es überhaupt so einen Artikel gibt. Sie sehen, teilweise auch von Medien und ihrer Socialmedia-Blase gelenkt nur das was ihnen gezeigt wird. Nur eins. Die Zahl die immer größer wird. Sie werden daher immer härtere Strafen und mehr Verbote fordern. Als Abschreckung oder Rache an den Täter versteht sich. Ein Politiker, so unbeliebt macheiner auch ist. Bei dem Thema wird er immer bei den Wählern Punkten können. Oder sie denken wirklich das die mit immer mehr Verboten oder härteren Gesetzen vor potenziellen Taten abschrecken. (Was das bringt zeigt ja die Todesstrafe in den USA)

Achja, das Dunkelfeld ist Zehnmal, nein fünfundfünfzigmal größer. (Zahl erfunden) Denn, wenn ich wüsste, wie groß das Dunkelfeld ist dann wäre es ja kein Dunkelfeld mehr. So wie Herr Fischer schreibt. „Das Dunkelfeld könnte ja auch kleiner sein.“ Das ist aber im aktuellen Zeitgeist weder Denk- noch sagbar. Die Menschen wollen Sanktionieren, es besteht kein interesse daran das Dunkelfeld klein zu halten.

Man müsste in der Statistik die Tätergruppen nach Alter sortieren können und dann noch nach schwere des gefundenen Inhalts und ob echte Kinder überhaupt beteiligt waren. Und wie viele Täter in einem Jahr verurteilt worden sind. Stattdessen spricht man von Blattpapier, das wenn man es nur stapeln würde, 25 Kilometer hoch wäre. Doch wie bewertet ich das. Wie dick ist das Papier auf dem man den Inhalt druckt. Auf eine Seite Papier passen aber auch ein Foto oder 10 Fotos oder 100 Fotos.
Die staatliche Vernichtung von Puppen muss sich für ihre Besitzer wie die Ermordung eines geliebten Familienmitgliedes anfühlen. Konsequent gegen die politische Verfolgung und Inhaftierung von unschuldigen Menschen!

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naylee
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Re: Fischer im Spiegel: Polizeiliche Statistik vs. kriminelle Realität

Beitrag von naylee »

Ich finde den Artikel richtig gut und möchte ihn deshalb hier in Gänze einstellen

Quelle: https://www.spiegel.de/panorama/endlich-was-tun-a-2035d8a7-c034-4e18-b12a-77f4abec9099
Sexualstrafrecht

Endlich was tun!

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Das BKA hat eine statistische Sonderauswertung zu Sexualdelikten gegen Kinder vorgelegt. Nun wird wieder manches spekuliert und viel gefordert. Zunächst etwas genauer hinzuschauen wäre sinnvoll.



Die, das und der Sex

Heute geht es hier einmal wieder – auch wenn das den einen Leser ermatten, dem anderen immer noch zu selten erscheinen mag – um Fragen des Sexuellen, des strafbar Sexuellen und des Beschützens der Menschen vor dem Letzteren. Der Mensch ist, jetzt einmal konservativ ausgedrückt, Frau oder Mann, eines von beidem, gelegentlich auch eine Mischung. Oder aber »Kind«. Auch wenn eine Frau oder ein Mann ganz alt, ganz krank oder ganz dement sind, bleiben sie doch stets – unter uns – Mann und Frau, also etwas, das Rechtsgemeinschaft und Gesellschaft halbwegs zu kennen meinen. Selbst eine fortgeschritten demente Pflegeheiminsassin ist im hiesigen Zusammenhang stets Frau oder Opfer, niemals aber »Kind«. Strafbare sexuelle Handlungen mit Frauen oder Männern sind in den §§ 174 bis 174c sowie in den §§ 177 und 178 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Strafbare sexuelle Handlungen mit Kindern stehen in den §§ 176 bis 176e StGB.

Dort steht (in § 176 Abs. 1) auch, wer oder was ein »Kind« im Sinn dieses Gesetzes ist: Eine Person unter 14 Jahren. Das ist kein Naturgesetz, sondern eine vom Gesetzgeber gewählte Grenze, die aus sachlichen Gründen als sinnvoll angesehen wird, aber natürlich nicht zwingend ist: Man hätte auch 12 Jahre (heiratsfähiges Alter in zahlreichen Gesellschaften!), 15 oder 16 Jahre sagen können, ohne dass dies richtig »falsch« gewesen wäre. Die UN-Kinderrechtskonvention bezeichnet sogar alle Personen unter 18 Jahren als »Kinder«. Dass es kindische 19-Jährige und »frühreife« 13-Jährige gibt, ist klar, aber man muss nun einmal Wertungs- und Bestimmtheitsgrenzen im Recht ziehen, denn das ist seine Natur. Wenn man jeden Menschen, der sich kindisch, »unreif« oder verantwortungslos aufführt, im Sexualstrafrecht als »Kind« behandeln müsste, bräche ein allgemeines Chaos aus.

Die starre Altersgrenze bis 13 Jahre (Kinder) und bis 17 Jahre (Jugendliche) ist aber nicht das einzige, was in der Lebensrealität einer gewissen Differenzierung in der Bewertung bedarf. Jeder weiß, dass Verletzungen, Behelligungen usw. zwischen ganz leicht und ganz schwer sein können; das ist Alltagserfahrung. Ein Beispiel: Jeden blauen Fleck als Gräueltat zu bezeichnen, wäre nicht nur etwas albern, sondern würde auch eine Bewertung des Einzelfalls gar nicht mehr möglich machen. Für eine vorsätzliche Körperverletzung kann mit fünf Tagessätzen Geldstrafe oder mit 10 Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden. Wer in die Prüfung schon mit dem Glaubenssatz einsteigt, jede Verletzung sei eine grauenvolle Gewalttat, verliert jeden Maßstab. Das gilt, auch wenn manche es nicht glauben möchten, für alle Straftaten, auch für solche gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Wem da nur einfällt, auf keinen Fall dürfe irgendetwas relativiert werden, der hat den Sinn der Sache wirklich noch nicht verstanden.


Sonderermittlung

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat am 31. Mai 2022 eine Sonderauswertung vorgelegt , die in den Medien meist als »Sonderauswertung zur sexuellen Gewalt an Kindern« bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung ist nicht ganz richtig, weil die Statistik sich überwiegend mit Taten befasst, die gerade keine Gewalt im allgemein üblichen Sinn enthalten, und außerdem auch mit Kommunikationsdelikten, insbesondere Taten im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Aber die Begriffe »sexuelle Gewalt« und »sexualisierte Gewalt« (was der Unterscheid sein soll, hat sich mir noch nicht erschlossen) sind inzwischen gut eingeführt als Aufmerksamkeits- und Empörungsauslöser und werden daher unverdrossen weiter zum Framing verwendet, obgleich der Gesetzgeber im Jahr 2021 ausdrücklich und bewusst davon abgesehen hat, eine solche begriffliche Einheitssauce anstelle der bewährten begrifflichen Differenzierung von Missbrauch, Zwang, Gewalt, Drohung, Nötigung oder Übergriff einzuführen.

Schlagzeilenergebnisse, nur beispielhaft: »Sexueller Missbrauch von Kindern nimmt zu«; »Durchschnittlich 49 minderjährige Opfer pro Tag«; und »Bild« brachte in Erfahrung, dass »nach Schockzahlen (…) Millionen Deutsche fragen: Was machen die Verantwortlichen in der Politik, damit dieser Horror für Kinder ein Ende hat?« Als ganz besonders schlimm wurde angesehen, dass sich die Zahl der Delikte im Zusammenhang mit Kinderpornografie (§ 184b StGB) innerhalb eines Jahres verdoppelt habe. Ob die Millionen, die sich nach neuen härtesten Maßnahmen sehnen, hierbei auch wussten, dass in mehr als der Hälfte aller kinderpornografischen Taten die Tatverdächtigen Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren waren und dass sich deren Zahl innerhalb von fünf Jahren verzehnfacht hat, ist unerforscht. Möglicherweise würden manche Deutsche etwas differenzierter denken, wenn sie ahnten, dass ein Großteil der Verdächtigen »einer der schlimmsten Formen der Kriminalität« (Faeser) in dem Kinderzimmer des eigenen Familienheims sitzt.

Nur ganz am Rande sei erwähnt, dass die scheinbar ganz einfache Frage, was eigentlich Kinderpornografie ist und worin sie sich von anderer, geringer bestrafter Pornografie unterscheidet, nur dann völlig unproblematisch zu beantworten ist, wenn man auf Evidenz (Offensichtlichkeit) abstellt und sich an den Andeutungen orientiert, die man in der Presse über die »traumatisierenden« Dateien liest, die ja eigentlich niemand (Journalisten, Leser, Zuschauer) kennt, sondern sich immer nur vorstellen kann. Auch hier kann man einmal nur sagen: Der Kern des Begriffs erschließt sich leicht, aber die Grenzen sind wie immer schwierig. Das führt dazu, dass man, wenn man Verantwortung trägt, über den Sinn und Zweck und die soziale Einbettung eines solchen Begriffs unbedingt vertiefte Gedanken machen muss. Das ersparen sich – zu Recht – die meisten, die die Sache mit der Feststellung für erledigt halten, dass Sauereien bestraft gehören und dass ein anständiger Mensch schon weiß, was eine Sauerei ist und was nicht. So ähnlich mache ich selbst das bei der Frage, was sich im Universum zur Zeit vor 10 hoch 16 Kelvin abgespielt hat, oder bei der Diskussion über die Vor- und Nachteile von Zahnimplantaten.


Statistiken

Ein paar Anmerkungen zur Statistik: Wie fast immer wurde wieder ausschließlich aus der PKS, der Polizeilichen Kriminalstatistik berichtet. Schon wenn man nur die Titel und Überschriften dieser Statistik anschaut, weiß man, dass sich aus ihr unmöglich ergeben kann, ob irgendwelche Straftaten zunehmen oder abnehmen, immer mehr oder weniger wurden. Wie an dieser Stelle schon vielmals gesagt: Die PKS ist eine Statistik über Anzeigen und über Verdächtige. Als Anzeige gilt alles, was der Polizei irgendwoher bekannt wird, daher auch alle Erkenntnisse aus allgemeinen, ungerichteten Ermittlungen. Wer in den genannten Statistiken als Täter gilt, ist in Wahrheit nur ein Tatverdächtiger. Es ist der Polizei überhaupt nicht zugänglich festzustellen, ob der Verdächtige die Tat wirklich begangen hat. In der Statistik wird aber jeder Fall, bei dem irgendeine Person als tatverdächtig eingetragen wird (warum auch immer), als aufgeklärt bezeichnet. Das ist eine grobe begriffliche Irreführung. Die PKS ist keine Statistik über Taten und Täter, sondern eine Statistik über die Tätigkeit der Polizei.

Deshalb sind auch die üblichen Banalitäten über das sogenannte Dunkelfeld missverständlich. »Die Dunkelziffer könnte wesentlich höher sein«, ist ein Standardsatz aus diesem Zusammenhang. Stimmt: Der Sinn des Begriffs »Dunkelfeld« ist, dass es dunkel, also nicht bekannt ist. Das Dunkelfeld könnte auch kleiner sein, denn bevor die Verfahren abgeschlossen sind, weiß man ja gar nicht, wie viele gar nicht existente Taten sich im »Hellfeld« der PKS befanden. Genau weiß man das nur, wenn man die einzelnen Verfahrensverläufe im Einzelnen anschaut; im Groben weiß man es, wenn man die Rechtspflegestatistik liest, die die Ergebnisse der Verfahren erfasst (Bundesamt für Statistik, Rechtspflege, Fachserie 10, Reihen 2.3 und 3). Diese Statistik ist schwieriger zu lesen als die PKS und anders aufgebaut, deshalb macht sich kaum jemand die Mühe, sie zu vergleichen. Das könnte sich aber lohnen, schon deshalb, weil sich dann z.B. herausstellt, dass die Zahl der erwiesenen und zur Verurteilung führenden Taten nicht selten nur ein Zehntel der in der PKS gemeldeten Fälle beträgt.


Begründungen

Die »Sonderauswertung des BKA« ist auf sieben bunten Tabellenseiten übersichtlich zusammengefasst, die man im Netz leicht findet. Ich empfehle jedem an der Sache interessierten Leser, sich eine Viertelstunde Zeit zu nehmen, um sie etwas genauer anzuschauen. Man kann da einige Feststellungen finden, die Fragen aufwerfen und oft gegebene, rasche Antworten in Zweifel ziehen.

Das fängt schon mit den allgemeinen Gewaltdelikten an: Plus 20 Prozent bei Mord und 8 Prozent bei Totschlag innerhalb eines Jahres – jeweils auf Taten gegen Kinder und auf den Vergleich zwischen 2020 und 2021 bezogen. Dafür minus 62 Prozent bei der Körperverletzung mit Todesfolge. Das kann schwerlich daher kommen, dass wegen Corona die Gewalt in den Familien gestiegen ist, denn dann müssten sich ja alle Zahlen erhöht haben. Naheliegend ist die Annahme, dass wesentlich mehr Tötungen von Kindern von der Polizei zu vorsätzlichen Tötungsdelikten »definiert« wurden – warum auch immer. Ob und was sich dahinter an Realität verbirgt, bleibt unklar. Denn die Gesamtzahl der durch Vorsatztaten getöteten Kinder ist zwischen 2017 und 2021 kaum gestiegen. Noch deutlicher wird die Zweifelhaftigkeit des Corona-Hinweises bei den Versuchen von Tötungsdelikten: Minus 40 Prozent (bei Mord 60 Prozent)! Dass Corona zu mehr Vollendungen bei wesentlich weniger Versuchen führen sollte, ist nicht plausibel. Im Übrigen haben die Bedingungen der Pandemie natürlich auch zu einem veränderten Anzeigeverhalten geführt.

Bei den Sexualdelikten ergibt sich ein ähnlich unklares Bild: Vollendete Missbräuche von Kindern plus vier Prozent, Versuche plus 16 Prozent. Das ist schwer erklärlich außer durch Anzeigeverhalten und polizeiliche Definition und Anzeigenaufnahme. Ob da irgendetwas immer mehr wurde, lässt sich wirklich nicht seriös sagen. Vor allem auch deshalb, weil die Fälle von »Übergriff, sexueller Nötigung und Vergewaltigung« von Kindern zugleich um sieben (Vollendung) bzw. 52 (Versuche) Prozent abgenommen haben. Die Bundesbeauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs formulierte zutreffend: Es könne nicht gesagt werden, ob die Zahl der Fälle tatsächlich steige.

Dramatisch und erhellend ist die statistische Auswertung der Verdachtsfälle von Kinderpornografie. Hier wird man annehmen können, dass es ohne reale Tat – also mindestens eine Datei – auch keinen Fall gibt, und da an jeder Datei meist auch irgendein Datenspeicherinhaber dranhängt, ist die »Aufklärungsquote« entsprechend hoch – wie bei BtM-Taten: Erst durchsucht man den Täter, dann findet man das Haschisch. Aufklärung 100 Prozent!

Wenn man sich versucht zu vergegenwärtigen, was man in den vergangenen 10 Jahren schon alles gelesen und gehört hat über den »immer stärkeren« Ausbau der Fahndungskapazitäten, die Einrichtung von Sonderabteilungen, die Fortentwicklung der Fahndungsprogramme usw. im Zusammenhang mit Kinderpornografie, dann wäre es irrational anzunehmen, die Zahl der entdeckten Fälle müsse gleichgeblieben sein oder gar abgenommen haben. Wenn man 50-mal mehr Kräfte zum Durchsuchen des Internets einsetzt, wird man vermutlich 25-mal mehr finden als zuvor. Alles andere wäre ein Wunder oder könnte nur darauf beruhen, dass es eine feststehende, sich nicht verändernde Zahl von tatsächlichen Fällen gibt.

Das für viele beunruhigendste, aber in der Presse vielfach nur am Rande erwähnte Ergebnis der Auswertung war, dass bei einem Anstieg von 108 Prozent der Fälle von Kinderpornografie – von denen übrigens die Mehrzahl auf das bloße Besitzen oder sich- oder anderen Verschaffen von relativ wenigen Dateien entfällt und nur ein geringer Teil auf die spektakulären Bandentaten und abgeschotteten »Netzwerke« – die Mehrzahl der registrierten Taten von Kindern und Jugendlichen begangen wurde. Diese Taten als solche haben daher nichts mit Pädophilie zu tun; sie werden aus Neugier, Wichtigtuerei, pubertärer Unbedachtheit und Sensationslust begangen, auch aus Lust am Verbotenen. Sie lassen sich so wenig insgesamt verhindern oder mittels »harter Maßnahmen« und Strafdrohungen unterbinden wie das Kursieren pornografischer Witze unter Jugendlichen. Wenn man – um ein banales Beispiel zu bilden – die üble Nachrede über Dritte als ein schweres Verbrechen ansehen und verfolgen würde, könnte man im Internet unendlich fahnden und jedes Jahr immer neue Steigerungsrekorde an »Fällen« produzieren, selbst wenn die tatsächliche Zahl der üblen Nachreden ständig zurückginge.

Damit soll – vorsorglich bemerkt – nun keinesfalls gesagt sein, dass »harte« Kinderpornografie eine lässliche Sünde und »nicht so schlimm« sei. Das gilt auch dann, wenn man immer wieder sagen muss, dass das Bild einer Tat nicht die Tat selbst ist: Wer ein Foto von einem Mord veröffentlicht, wird nicht als Mörder angesehen und bestraft. Und wer das pornografische Bild einer Vergewaltigung besitzt, ist kein Vergewaltigungstäter und muss auch, um strafbar zu sein, eine solche Tat weder begehen wollen noch gutheißen. Nur mal als Beispiel: Wer auf irgendeinem Internetdienst Fotos von Kriegsgräueln anschaut oder teilt, begeht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (auch) Taten nach § 131 StGB (Verbrei
ten von Darstellungen menschenverachtender Gewalt). Trotzdem wird er nicht meinen, dass er genauso zu bestrafen sei wie die Täter dieser Verbrechen.

Deshalb muss man (auch) hier stets versuchen, zwischen Abgestoßensein und Ekel auf der einen, rationaler Betrachtung des Unrechtsgehalts auf der anderen Seite zu unterscheiden. Hierfür ist es zum Beispiel nicht nützlich, dass es inzwischen eine ganze Reportagegattung über die »Traumatisierungen der Fahnder« gibt. Polizeibeamte müssen in der Öffentlichkeit nicht als Opfer ihrer eigenen Ermittlungstätigkeit dargestellt und bedauert werden; dafür gibt es (richtigerweise) andere Strukturen. Das Leid von Hinterbliebenen wird auch nicht dadurch besser verstanden oder leichter erträglich, dass man Reportagen über den Alltag von Leichenwäschern oder Totengräbern veröffentlicht.


Irgendwas tun

Am 1. Juli 2021 ist das »Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder« in Kraft getreten. Es hat die einschlägigen Vorschriften des StGB komplett neu gefasst, zahlreiche Ergänzungen und massive Anhebungen von Strafrahmen gebracht, verbunden mit prozessualen Folgen, die hieran gebunden sind, insbesondere im Bereich der Ermittlungsbefugnisse. Ich empfehle immer wieder und ernsthaft, sich die Zeit zu nehmen und diese Vorschriften einmal auf der Homepage des BMJ unter »Gesetze im Internet« nachzulesen. Sie sind teilweise (sehr) kompliziert formuliert und türmen immer neue Einzelheiten auf, weil jeder möglichst alles erfassen und jeden Sonderfall auch noch regeln will. Wem da noch Lücken einfallen sollen, der muss sich schon ziemlich anstrengen!

Umso verquerer und unernsthaft wirkt es, wenn angesichts der Sonderauswertung, die natürlich nicht zufällig vorgenommen, sondern aus gegebenem Anlass vom Ministerium bestellt wurde, nun alsbald wieder allgemein nach »harten Maßnahmen« und »endlich was Tun!« gerufen wird. Die allermeisten Menschen in Deutschland haben, aus welchen Gründen auch immer, nicht die geringste Ahnung, was schon strafbar ist, und von den im Halbjahresrhythmus erfolgenden Gesetzesverschärfungen nimmt kaum mehr jemand Notiz: Es reicht, wenn drei Tage lang von Empörungsprofis angekündigt und vorgeführt wird, nun werde man aber mal wieder schwer durchgreifen.

Die sich (gelegentlich schon selbst überholenden) Gesetzesverschärfungen führen zu zahllosen Anwendungsschwierigkeiten, komplizierten Rückwirkungsvergleichen und langwierigen Auslegungsproblemen, die dann wieder mit neuen, populistischen Forderungen nach Konsequenz von denen bekämpft werden, die sie gerade eben erst als Lösung der Probleme beschlossen hatten.

Die Veröffentlichung der Sonderauswertung stand im Zusammenhang mit dem Vorschlag der EU, einen umfassenden, anlasslosen Zugriff der Polizeibehörden auf private Chaträume zuzulassen, also eine praktisch unbegrenzte Schleppnetz- und Rasterfahndung im Netz. Da zuckt natürlich die sogenannte Netzcommunity (schöner Begriff übrigens für eine Elite) stark und berechtigt zusammen, weil man ist ja hier nicht in China und man kann auch alles übertreiben. Das stimmt genau, aber die Gegenargumente sind so schlicht wie bewährt: »Wer nichts zu verbergen hat …«, ist das eine, und die »Monster«-Kriminalberichterstattung das andere. Ihre Erfolgsaussichten sind leider nicht so schlecht wie von manchen erhofft; das zeigt schon die allseits mit ernster Miene vorgetragene Diskussion (in Form permanenter Wiederholung) unter Einbeziehung der Leitungsebenen. Wenn man in Deutschland fundamentale Grenzen staatlicher Befugnisse verschieben will, muss man über kleine Kätzchen oder über den Kinderschutz kommen; Geldwäsche und Mafia gehen nur ersatzweise. Das führt aber nicht dazu, dass sich wirklich etwas ändert, wo angeblich das immerwährende »Bekämpfen« keinen weiteren Aufschub mehr verträgt. Es handelt sich um Kommunikationsschleifen, die unmittelbar, aber vertrackt mit dem wirklichen Leben und Leiden der Menschen zusammenhängen, diese aber nie (!) real erfassen.


Epilog

Hinweise wie dieser werden gern mit Schimpfkanonaden über das angebliche Verharmlosen usw. beantwortet. Das ist nicht sachgerecht und nützt weder der Strafverfolgung noch den Tatopfern. Wer die Straßen mit 40 Millionen wundertätigen Automobilen vollschmeißt, muss damit rechnen, dass sich Tote und Verletzte nicht werden verhindern lassen, selbst wenn der Rotlichtverstoß mit 15 Jahre Freiheitsstrafe bedroht wird. Analog: Wer ein Internet betreiben und sich nicht zum rechtlosen Objekt staatlicher Totalkontrolle machen lassen will, muss zwingend damit rechnen, dass es Betrug, Pornografie, Drohung, Hetze und Dreck im Netz geben wird. Dass man das Strafbare darunter verfolgen soll, ist grundsätzlich klar, im Einzelnen aber vernünftig zu diskutieren. Denn die Rettung liegt ja ganz offenkundig nicht darin, immer mehr Verfolgung zu fordern. Sondern in einer vernünftigen Diskussion darüber, was unvermeidlich ist und wie man dieses Unvermeidliche trotzdem in ein tragfähiges System integriert.

Wie nur kann ich derjenige sein, vor dem die Kinder dieser Welt gewarnt werden, von dem sie sich fernhalten sollen, wenn sie doch meine Gegenwart ganz und gar erbaulich finden?
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