In der folgenden Arbeit geht es um Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild und um Kinderpornografie. (Die Hervorhebungen sind wie immer von mir.) Es wird gezeigt, wie diese beide Themen zusammenhängen und warum man diese gemeinsam betrachten muss. Weil ich diese Arbeit für sehr wichtig halte, gebe ich die Quellen zu den zitierten Passagen direkt mit an.
Die Strafbarkeit von fiktionaler und wirklichkeitsnaher Kinderpornografie in § 184b StGB sowie der neue Straftatbestand des § 184l StGB (Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild; u.a. BT- Drs. 19/23707, 19/24901, 19/27928) – Darstellung, Reichweite der Normen und (kritische) Würdigung
Karen Faehling
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Juristische Fakultät
https://kripoz.de/wp-content/uploads/2021/09/faehling-die-strafbarkeit-von-fiktionaler-und-wirklichkeitsnaher-kinderpornografie-in-184b-stgb.pdf
Pädophilie meint die sexuelle Ansprechbarkeit einer Person auf ein kindliches, also vorpubertäres Körperschema. Hebephilie liegt vor, wenn das pubertäre Körperschema der Präferenz entspricht.41 Die Entwicklung vom vorpubertären zum pubertären Körperschema findet dabei etwa im Alter von zwölf Jahren statt.42
41 Beier, Pädophilie, Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch, 2018, S. 2.
42 Beier, S. 3.
Bezüglich der Nutzer von offensichtlich fiktiven kinderpornografischen Inhalten wird von einer geringeren Nachahmungsgefahr ausgegangen.51
51 Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184b Rn. 5.
Es gibt jedoch generell auf Sexpuppen bezogene Studien zu der Einstellung, die Besitzer ihren Puppen gegenüber haben. Dabei hat sich ergeben, dass etwa 70% zumindest auch eine sexuelle Komponente sehen, über die Hälfte jedoch auch einen Partner oder Liebhaber.53
53 Langcaster-James/Bentley, Robotics 2018, 7, 62, S. 6.
2. Normzweck
Zweck des Strafrechts ist der Schutz von Rechtsgütern. Nach dem Ultima-Ratio-Prinzip ist der Gesetzgeber zum Erlass einer Strafnorm nur als äußerstes Mittel legitimiert, das pönalisierte Verhalten muss für das geordnete Zusammenleben unerträglich sein.76 Eine weitere Grenze des Strafrechts ist die Pflicht zur Respektierung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung.77
76 Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl. (2020), § 3 Rn. 5.
77 Roxin, Strafrecht AT, 4. Aufl. (2006), § 2 Rn 8.
dd) Moral
Kein legitimes Schutzgut sind lediglich moralische Vorstellungen. 91 Nur der Ekel oder die Abscheu, die die meisten Menschen bei der Betrachtung auch fiktiver Kinderpornografie oder Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild empfinden, darf nicht Strafgrund sein. Hierunter fällt auch der für die Schaffung des §184l StGB-E angeführte Grund, es solle ein Signal für die Gesellschaft gesetzt werden, dass Kinder nicht zum Objekt sexueller Handlungsweisen gemacht werden dürften, selbst wenn diese nur körperlich nachgebildet seien. 92 Folgt man dieser Argumentation, müssten wohl auch die - freilich praktisch nicht nachweisbaren - Masturbationsphantasien kernpädophiler Personen unter Strafe gestellt werden.
91 Roxin, § 2 Rn 17.
92 BT-Drs. 19/23707, S. 23.
bb) Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Zur Begründung des Verbots von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild dient das Anreizargument. Diese sollen bei einigen Nutzern zu einer Senkung der Hemmschwelle führen. 105 Derartige Puppen sollen auch schon als Übungsobjekte für die später an Kindern verübten Taten genutzt worden sein. 106 Nicht ersichtlich ist, warum für das gezielte Einüben von Missbrauchshandlungen nicht auch Sexpuppen, die Erwachsene darstellen, genutzt werden könnten.
Der neue § 184l StGB-E soll laut dem Gesetzesentwurf dazu führen, dass zugleich der Markt für solche Nachbildungen ausgetrocknet werde. 107 Anders als bei der (realen) Kinderpornografie werden jedoch nicht unmittelbar durch die Herstellung neuer Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild konkrete Rechtsgüter verletzt. Somit liegt eine Legitimation über das Nachfrageargument hier fern. Durch die Verwendung des Begriffes „zugleich“ 108 scheint jedoch auch der Gesetzgeber dies nur als erwünschte Folge und nicht als maßgeblichen Grund für die Pönalisierung anzusehen.
Die Stellungnahmen der Sachverständigen fallen weitgehend kritisch aus. Nur in einer Stellungnahme wird diese Neuerung als positiv empfunden. Dies wird damit begründet, dass nach den bisherigen Ermittlungserkenntnissen der Eindruck bestehe, dass zumindest das Risiko bestehe, dass durch die Nutzung solcher Kindersexpuppen die Hemmschwelle bei pädophil veranlagten Personen zur Durchführung realer Missbrauchshandlungen an Kindern gesenkt werde.109
In anderen Stellungnahmen heißt es, ohne empirische Erkenntnisse, inwiefern die Nutzung von kindlichen Sexpuppen die Gefährdung von Kindern zumindest mittelbar fördere, könne eine solche Verhaltensweise nicht strafbar sein.110 Teilweise wird dabei nur auf die fehlende Empirie abgestellt, sodass eine Legitimierung der Norm möglich sein könnte, sollten durch Studien die Annahmen der Gesetzgeber belegt werden können.111 Teilweise wird auch angedeutet, dass durch das Verbot pädophil veranlagten Menschen eine Möglichkeit genommen wird ihre Sexualität auszuleben, ohne Rechtsgüter zu verletzen.112 In dem Lauschangriff-Urteil des BVerfG wurden die Ausdrucksformen der Sexualität zum Kernbereich privater Lebensgestaltung zugeordnet. Diese Zuordnung hängt davon ab, ob die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt werden.113 Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall – durch die Nutzung der Puppe wird niemand verletzt, als Strafgrund wird nur angeführt, dass die Gefährlichkeit der Nutzer steigen könnte. Die Strafbarkeit wird also im Wesentlichen auf das Anreizargument gestützt, zudem ergibt sich aus der Gesetzesbegründung („Signal für die Gesellschaft“ 114 ) sowie aus der Diskussion im Bundestag („Das finde ich unerträglich“ 115 ), dass auch moralisch-ästhetische Belange berücksichtigt wurden.
cc) Berücksichtigung des Inzest-Urteils
Beachtlich ist in diesem Zusammenhang das Inzest-Urteil des BVerfG.116 In dieser Entscheidung hat das BVerfG mehrere Strafzwecke, die jeder für sich wenig überzeugend waren in ihrer Gesamtheit vor dem Hintergrund einer kulturhistorischen begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit für ausreichend erklärt, um das Inzestverbot zu legitimieren. 117 Wenn in einem Bereich eine „kulturhistorische Überzeugung“ einer Strafwürdigkeit besteht, dann wohl im Bereich des Kindesmissbrauchs und der Kinderpornografie in ihren verschiedenen Ausprägungen.
In einem Sondervotum sowie in der Literatur wurde dies jedoch stark kritisiert. 118 Das BVerfG hat das Strafrecht selbst als „schärfste Waffe“, die dem Gesetzgeber zur Verfügung steht und deswegen dem Ultima-Ratio-Prinzip unterliegt, bezeichnet.119 Im Ergebnis begründe das BVerfG seine Entscheidung mit moralischen Vorstellungen. Die befürchteten Verletzungen seien sehr entfernte, indirekte Folgen, welche so gut wie bei jeder Moralwidrigkeit gefunden werden könnten.120
Aus den genannten Gründen kann sich auch hinsichtlich des Verbotes von fiktiver Kinderpornografie und von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild keine Rechtfertigung über die vom BVerfG angeführten kulturhistorischen Überzeugungen ergeben.
105 BT-Drs. 19/23707, S. 42.
106 Bussweiler, Stellungnahme zu BT-Drs. 19/23707 v. 03.12.2020, abrufbar unter:
https://www.bundestag.de/resource/blob/811572/3e79803afaff01551ebf748254605900/bussweilier-data.pdf (zuletzt abgerufen am 9.5.2021), S. 15.
107 BT-Drs. 19/23707, S. 2.
108 BT-Drs. 19/23707, S. 2.
109 Bussweiler, Stellungnahme zu BT-Drucksache 19/23707 v. 3.12.2020, abrufbar unter:
https://www.bundestag.de/resource/blob/811572/3e79803afaff01551ebf748254605900/bussweilier-data.pdf (zuletzt abgerufen am 9.5.2021), S. 15.
110 Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme zu BT-Drucksache 19/23707 v. 4.12.2020, abrufbar unter:
https://www.bundestag.de/resource/blob/811994/6809951f794b8c998aee25d6b3706c29/steinl_djb-data.pdf (zuletzt abgerufen am 9.5.2021), S. 7.
111 Kinzig, Stellungnahme zu BT-Drucksache 19/23707 v. 3.12.2020, abrufbar unter:
https://www.bundestag.de/resource/blob/811570/5141412739a501a5d46d859a2b3eb6ed/kinzig-data.pdf (zuletzt abgerufen am 9.5.2021), S. 17.
112 Hörnle, Stellungnahme Stellungnahme zu BT-Drucksache 19/23707 v. 2.12.2020, abrufbar unter:
https://www.bundestag.de/resource/blob/811386/28245e43b98ca66b11dc55e388a0726c/hoernle-data.pdf (zuletzt abgerufen am 9.5.2021), S. 13.
113 BVerfG, NJW 2004, 999 (1002).
114 BT-Drs. 19/23707, S. 23.
115 Plenarprotokoll 19/187 Deutscher Bundestag 187. Sitzung am 30.10.2020, S. 23560.
116 BVerfGE 120, 224.
117 BVerfG, NJW 2008, 1137 (1140).
118 BVerfG, NJW 2008, 1137 (1142); Roxin, StV 2009, 544 (544 ff.).
119 BVerfGE 39, 1 (46).
120 Greco, ZIS 2008, 234 (236).
Problematisch ist vor allem die Pönalisierung der Verbreitung der rein fiktiven Kinderpornografie sowie des Besitzes, der Herstellung und der Verbreitung von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild. Hierbei wird zunächst offensichtlich kein Rechtsgut verletzt. Gleichzeitig bezieht sich die Nutzung dieser Inhalte beziehungsweise Puppen auf den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung.
Noch weiter geht der neue § 184l StGB-E: Nicht nur die Verbreitung, sondern auch die Herstellung und der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild wird unter Strafe gestellt. Gerade im Bereich des Besitzes wird jedoch in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung eingegriffen. Gleichzeitig wird zunächst Rechtsgut verletzt. Bestraft werden soll der Besitz nicht wegen einer mit ihm einhergehenden Rechtsgutsverletzung, sondern wegen der vermeintlichen Senkung der Hemmschwelle des Täters zur Begehung eines sexuellen Missbrauchs von Kindern. Das ist eine Vorfeldverlagerung, die weit über die Bestrafung einer Vorbereitungshandlung hinausgeht. Zudem ist die vermutete Steigerung der Gefährlichkeit nicht einmal empirisch belegt.
Trotzdem wird die Höchststrafe nur für Erwerb oder Besitz, also nur für die vermutete Steigerung der eigenen Gefährlichkeit des Täters auf Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren festgelegt. Dies könnte man zwar versuchen, damit zu begründen, dass die Nutzung einer solchen Sexpuppe deutlich näher an einem realen Missbrauch liegt als der Konsum von rein fiktiver Kinderpornografie. Der Gesetzgeber selbst hat jedoch keine Stellung zu dem Verhältnis der Kindersexpuppen zu der fiktiven Kinderpornografie genommen. Dagegen lässt sich zudem sagen, dass diese, anders als kinderpornografische Inhalte auch zur emotionalen Bedürfnisbefriedigung beitragen können, indem sie etwa als Gesprächspartner genutzt werden. Angesichts der Straflosigkeit des Besitzes der rein fiktiven Kinderpornografie stellt die angedrohte Höchststrafe des Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild einen Wertungswiderspruch dar. Selbst wenn man davon ausgeht, durch die Nutzung dieser Puppen werde bei einigen Nutzern die Hemmschwelle zum tatsächlichen Missbrauch gesenkt, könnte damit angesichts des weitreichenden Eingriffs in die Rechte des Nutzes eine Pönalisierung des Besitzes und Erwerbs nicht gerechtfertigt werden.
Dies könnte jedoch in Hinblick auf das Inverkehrbringen, also § 184l Abs. 1 StGB-E anders sein.
Unabhängig von der Empirie würden wiederrum ein Zurechnungsproblem bezüglich der nachgelagerten und eigenverantwortlichen Straftaten anderer Personen bestehen. Es würde die durch die Verbreitung an eine Mehrzahl anderer Personen statistisch steigende Wahrscheinlichkeit einer späteren Tat geahndet werden. Hiergegen sprechen jedoch dieselben Argumente wie bei der fiktiven Kinderpornografie: Es würde eine extreme Vorfeldverlagerung bedeuten. In der Gesetzesbegründung heißt es, insbesondere solle dem Markt für solche Nachbildungen die Grundlage entzogen werden, auch solle ein Signal für die Gesellschaft ausgehen, dass Kinder nicht zum Objekt sexueller Handlungen gemacht werden dürften.125 Das sind hauptsächlich moralische Argumente. Nach dieser Wertung müsste die fiktive Kinderpornografie in jeder Tatmodalität unter Strafe gestellt werden. Zudem müssten auch die Nutzung indikativer Bilder, also solcher, die Kinder ohne jede sexuelle Konnotation in Alltagssituationen zeigen 126, zu Masturbationszwecken pönalisiert werden. Zudem ist hier die Verbreitung selbst bei der kostenlosen Weitergabe in nur einem einzigen Fall erfasst.
Dabei zeigt sich wiederum ein Wertungswiderspruch zu der fiktiven Kinderpornografie – bei dieser ist nur das Verbreiten an einen nicht mehr individualisierbaren Personenkreis erfasst. Um eine Wertungsübereinstimmung zu erreichen, müsste die Strafbarkeit auf das gewerbliche Veräußern begrenzt werden. Zwar ist bei § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB auch das nichtkommerzielle Verbreiten erfasst, jedoch können die Puppen nicht als digitale Inhalte vielen Personen gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden. Wer mehrere Puppen verbreitet, wird dies regelmäßig kommerziell tun, sodass auf diese Weise die meisten Fälle der Weitergabe an mehrere Personen erfasst wären und keine Probleme mit dem Bestimmtheitsgebot aufkommen würden.
Die mangelnde Differenzierung zwischen der Verbreitung an eine einzelne Person und der Verbreitung im größeren Ausmaß stellt jedoch innerhalb des § 184l StGB-E sowie im Vergleich zu § 184b StGB einen Wertungswiderspruch dar. Im Unterschied zu der wirklichkeitsnahen Kinderpornografie wird zudem nicht einmal der Eindruck eines realen Geschehens erweckt, zudem kann das Nachfrageargument nicht angeführt werden – durch die Herstellung neuer Puppen wird anders als bei der Herstellung neuer kinderpornografischer Inhalte kein Rechtsgut verletzt. Somit ist auch die Pönalisierung der Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild insgesamt abzulehnen.
Zutreffend ist daher die Aussage von Prof. Dr. Hörnle, welche zu dem Schluss kommt, es sei erschreckend und einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung nicht angemessen, dass auf Basis von wenigen Sätzen mit nicht recherchierten Aussagen zu menschlichem Verhalten Kriminalstrafe geschaffen werden soll.127 Im Ergebnis stellt sich § 184l StGB-E als populistische Pönalisierung moralisch-ästhetischer Werte dar, die sich durch den Rechtsgüterschutz nicht legitimieren lässt.