Es gibt einen neuen Heidi Film:
Wie fügt man nochmal Bilder ein?
Ach. so!
Leicht hatte es "das Heidi" bislang weiß Gott nicht. Vater und Mutter starben, als das Mädchen noch ein Baby war, die überforderte Tante Dete kümmerte sich zwar vier Jahre lang um ihre Nichte. Doch als Dete einen neuen Job in Frankfurt beginnt, kann und will sie Heidi nicht mitnehmen.
Das fünfjährige Kind soll ins Schweizer Alpendoerfli abgeschoben werden, aus dem die Familie stammt, zum Alpoehi (wie sein buchgetreuer Name lautet) - einem Opa wie aus dem Horrorkabinett. "Man sagte, er habe einen erschlagen", erzählt Dete einer Dorfbewohnerin in Johanna Spyris 1879 erschienenem ersten Band "Heidis Lehr- und Wanderjahre". "Grimmig, verschlossen, gottlos" sei er. Als Einsiedler wohnt er auf dem Berg, geht nicht mal zur Andacht ins Dorf. Da kann sich das Heidi ja auf etwas gefasst machen.
Aber Heidi (Anuk Steffen), die in der Anfangsszene der Neuverfilmung an der Hand ihrer Tante (Anna Schinz) den Berg hinaufstapft, entdeckt ganz schnell ihre große Liebe, eine Liebe, die im weiteren Film Triebfeder für ihre Handlungen sein und ihr Schutz gegen die Herzlosigkeit, das Unverständnis und die Brutalität ihrer Umgebung bieten wird: Heidi sieht die Alpen. Und verliebt sich aus dem Stand.
Einen ungewöhnlichen Heimatfilm haben Regisseur Alain Gsponer und Drehbuchautorin Petra Volpe gemacht - einen Heimatfilm für Kinder, der Heimat undogmatisch, unpatriotisch und kein bisschen agrarpolitisch da ansiedelt, wo es angeblich schon Plinius der Ältere getan hat: Home is where your heart is. Heidis Herz, trotz der vielen Kindheitstraumata weder gebrochen noch sonderlich schwer, fliegt ihrem misanthropischen Großvater (Bruno Ganz) zu, der die Berge repräsentiert. Der alte Mann kann nichts anderes tun, als es aufzufangen.
Das erfolgreichste Buch der Schweizer Autorin wurde elf Mal als Spielfilm adaptiert, international in mehreren Serien erzählt, erfolgreich animiert und in verschiedenen Sprachen gesungen. Der Titelsong aus der 1974 in der japanischen Anime-Werkstatt "Zuiyo" entstandenen, international höchst erfolgreichen TV-Serie wurde in der deutschen Synchronfassung von Christian Bruhn ("Marmor, Stein und Eisen bricht", "Wunder gibt es immer wieder" etc.) komponiert, von Gitti & Erika gejodelt, und gellt noch immer in den Ohren mehrerer Generationen Fernsehzuschauer.
Alle Personen haben ihr eigenes Dilemma
Gsponer und Volpe haben sich des Themas, trotz seines - durch die vielen Adaptionen entstandenen - heiter-naiven, biederen und altmodischen Beigeschmacks, ernsthaft angenommen. Und es zu dem großen Drama zurückgeführt, das es beinhaltet: Wie kann Heidi, der Freigeist, sich gegen die kleinbürgerliche Enge der Gesellschaft zur Wehr setzen?
Denn die Geschichte ist bekannt: Nachdem Heidi und der Alpoehi sich nach einigen Anfangsmissverständnissen gemeinsam mit dem Geissenpeter (Quirin Agrippi) glücklich in einer Art anarchistischen Reform-Alpen-WG eingerichtet haben, muss sie nach Frankfurt, zur lahmen Klara (Isabelle Ottmann). Dort sind die Straßen eng, die Lehrer streng, die Häuser düster, und die Berge sieht man nicht mal vom höchsten Kirchturm aus, wie Heidi bei einem heimlichen Ausflug mit Klara betrübt feststellt. Und die Gouvernante Fräulein Rottenmeier (Katharina Schüttler) benimmt sich so gouvernantig, wie es schlimmer nicht geht.
Heidis Heim- oder besser Bergweh, ihre freien Ansichten, ihre sprühende Lebenslust prallen mit dem zusammen, was man damals "Anstand" nannte. Das geht nicht lange gut. Aber Heidi bleibt glücklicherweise nicht untätig ...
Volpes Drehbuch gibt allen Personen, ob "böse" oder "gut", ihr eigenes Dilemma. Das macht den Kinderfilm, der mit seinem unaufdringlichen Pathos und seinem gemächlichen Erzähltempo eine Herausforderung für medienerfahrene, actionaffine Kinder sein könnte, auch interessant für Erwachsene - sogar für Heimatfilm- oder Naturverächter: Der Alpoehi steht zwischen den Gefühlen zu seiner Enkelin und der Angst, wieder verletzt zu werden. Heidi steht zwischen ihrer Liebe zu den Bergen und der Loyalität gegenüber ihrer Freundin. Dete steht zwischen der Treue zu der toten Schwester und dem Zwang, Geld zu verdienen.
Sogar die als "comic relief" leider etwas schwach ausfallende Zicke Rottenmeier will eigentlich nur, dass die Kinder etwas lernen. Mut zum Dialekt (den man ruhig auch im Frankfurter Sesemann-Haus hätte aufbringen können) und authentisch-düstere Darstellungen der ärmlichen Dorf- und Bergbewohner in ihren kargen Behausungen, die von dem alles akzeptierenden Kind Heidi gar nicht so wahrgenommen werden, reichern "Heidi" zu einem kräftig-alpengrünen Film an, der trotz intensiver Farben und großer Bilder weniger Panoramapostkarte als viel mehr Sozialdrama ist. Und das ist ganz im Sinne der Erfinderin.
Quelle: Spiegel.de/kultur
Jawohl! Heidi ist Kultur, Heidi ist Kult!