Dass es Mädchen und Jungen gibt, dürfte den Kindern schon ziemlich früh auffallen - spätestens, wenn sie mit den Eltern, anderen Geschwistern oder auch anderen Kindern zusammen in der Badewanne oder im Planschbecken sitzen. Nun weiß ich natürlich nicht genau, was die Frauen in dem Artikel unter "geschlechtsneutraler Erziehung" verstehen (und zugegebenermaßen sehen sie auf den Fotos auch nicht sehr "weiblich" aus), aber wenn es so ist, wie von Ovid angeführt, kann doch nichts dagegen sprechen, oder?
Spätestens im Kindergarten treffen die Kinder unweigerlich auf die typischen Geschlechterklischees (überspitzt formuliert: Mädels laufen mit rosafarbenen Prinzessinen-Klamotten herum und ziehen sich gleich in die Puppenecke zurück, während die Jungs alle T-Shirts mit Superhelden tragen und sich um die Spielzeugautos streiten). Und da die Geschlechter es häufig bevorzugen, "unter sich" zu sein, werden die Mädels, die auch mal Fußball spielen wollen, aus der Gruppe geekelt, und die Jungs mit einer Barbiepuppe als "verweichlicht" gehänselt.
Genau da sollte die geschlechtsneutrale Erziehung ansetzen, nämlich dass es keineswegs "doof" ist, wenn Jungs mit Puppen spielen oder Mädels beim Fußball mitmachen wollen. Ich denke mal, wenn eine solche Erziehung bereits frühzeitig beginnt, zementieren sich in den Köpfen der Kinder nicht solche ausgrenzenden Meinungen, sondern sie gehen viel toleranter damit um. Das heißt ja nun auch keineswegs, dass Mädchen nicht mehr mit Puppen spielen dürfen, genausowenig müssen sie unbedingt mit Autos spielen.
Ich finde es durchaus sinnvoll, wenn man die Kinder in ihrer Geschlechterrolle stärkt, also zu betonen, dass es eine tolle Sache ist, ein Mädchen bzw. Junge zu sein, denn eine Geschlechtsidentität zu entwickeln, hilft dabei, Selbstvertrauen aufzubauen. Im Moment scheint es ja "hip" zu sein, sich eben gerade nicht als "weiblich" oder "männlich" zu bezeichnen, sondern es werden dutzende von Geschlechtsidentitäten erfunden. Das nimmt meiner Meinung nach bisweilen groteske Züge an, wenn es dann z. B. darum geht, welche Toiletten man besuchen darf.
Früher gab es ja in vielen Bereichen eine strikte Trennung zwischen Frauen und Männern bzw. Mädchen und Jungen, sei es nun in Schule, Beruf und Co. Da hat man viel in Sachen "Gleichberechtigung" getan, aber in mancher Hinsicht ist es heute eher noch extremer als früher, z. B. ist es in manchen Ländern mittlerweile undenkbar, gemischt ins öffentliche Bad oder in die Sauna zu gehen, weil man vor dem anderen Geschlecht quasi Angst hat (es könnten ja Pädophile und Vergewaltiger darunter sein). Familien-Umkleiden findet man hier und da, aber Unisex-Toiletten sind eher ein Kuriosum.
Es ist also irgendwie alles ein bisschen seltsam, manche Aspekte werden offener gehandhabt, andere strenger, aber das, was eigentlich die Normalität sein sollte, nämlich der ungezwungene Umgang mit der Tatsache, dass es eben zwei biologische Geschlechter gibt, was aber keineswegs die persönliche Entfaltung einschränken muss. Wenn es völlig in Ordnung und fortschrittlich ist, dass Frauen einen typischen "Männerberuf" ergreifen und man es auch als lobenswert heraushebt, wenn ein Mann einen Job im sozialen Bereich annimmt (von diversen Anfeindungen gegenüber Erziehern und dergleichen einmal abgesehen), dann kann es uns doch nur recht sein, wenn man Kinder eben auf genau diese Art und Weise geschlechtsneutral erzieht.
Wenn ein Mädchen gerne eine Prinzessin sein und ein rosa Kleid tragen will, dann ist das genauso in Ordnung wie der Wunsch eines anderen Mädchens, mit schwarzen Klamotten herumzulaufen und mit den Jungs zu raufen. Ist doch toll, wenn man den Kindern die Wahl lässt, damit sie das ausleben können, was ihnen Spaß macht. Man muss eben eine möglichst große Bandbreite anbieten, dazu gehört auch universelles Spielzeug, was nicht immer diesem extremen Klischee "rosa Prinzessinnenpalast für Mädchen, säbelschwingende Ninjas für Jungs" entspricht.
Warum gibt es zum Beispiel Überraschungseier "für Mädchen"? Haben die früher nie welche bekommen? Ich konnte als Junge auch mit einer Biene Maja-Figur etwas anfangen, es musste kein waffenstrotzender Ritter sein. Auch gehörten Pferde, Hühner und Katzen ganz automatisch zu meinen Bauernhof-Spielsachen dazu, für Mädchen waren die bestimmt genauso interessant, und es musste nicht der rosa Popstar-Reiterhof mit Glitzer-Kutsche sein. Irgendwann hatte LEGO angefangen, auch Sets "für Mädchen" herauszubringen, die fand ich auch schön, aber die waren damals noch nicht so übertrieben kitschig, wie das heute meist der Fall ist. Es geht also alles, man muss nur den richtigen Mittelweg finden.