Kinderschänderei
Verfasst: 03.01.2024, 08:12
Der Kinderschänder kommt im deutschen Sprachschatz noch vor dem Frauenschänder. Er existiert, soweit ich sehe, ausschließlich in ungenerisch maskuliner Form; von »Kinderschänderinnen« hörte und las man noch nicht, selbst wenn sie als Täterinnen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurden oder von Beruf Justizministerinnen waren. Das innere Wesen des Kinderschänders in dieser sprachlichen Gestalt ist es, Kinder zu schänden. Daher bleibt ihm der Titel »Kinderschändender« versagt, der ja immerhin noch eine gewisse identitäre Variabilität andeuteten könnte. Einmal Schänder, immer Schänder.
Dies meinen jedenfalls viele Menschen, die sich zugleich darüber empören, dass § 211 StGB vom Täter als »Mörder« spricht, § 212 StGB vom »Totschläger«, weil die Zuschreibung von Taten auf Tätercharaktere als sprachliches Erbe totalitären Denkens gilt. Das »Schänden« als Wesen und Straftat hat aber einen ganz besonders widerlichen Geschmack. Das kommt daher, dass es die dem Tätertypen zugeschriebene Verächtlichkeit ausdrücklich einer angeblichen »Schande« des Opfers zuschreibt. Wer Täter von Sexualstraftaten an Kindern (jedes Geschlechts) oder Frauen als Kinder- oder Frauenschänder bezeichnet, meint offenbar allen Ernstes, die Opfer solcher Straftaten würden hierdurch in einen Zustand der »Schande« versetzt. Dabei wird sogar noch sorgsam unterschieden: Von »Männerschändern« unter homosexuellen Männern liest man nie.
Dem Opfer einer Körperverletzung oder einer Erpressung würde in aller Regel nicht einfallen, sich als geschändet zu betrachten. Dies ist – sprachlich – Personen vorbehalten, an denen »sich vergangen« oder »sich vergriffen« wird. Die ganz Terminologie atmet, wie auch die des Missbrauchs von Kindern, eine veraltete und opferfeindliche Ideologie von Gebrauchsberechtigung und Verfügungsgewalt. Insofern ist es fast lustig, wenn ganz besonders entschlossene Kinderschützer wie Herr Deckers sich im Augenblick höchster Verfolgungslust auf allen Seiten von »Kinderschändern« umzingelt sehen.
Die Kehrseite davon ist, dass die Bezeichnung einer Person als »Kinderschänder« eine ziemlich grobe Beleidigung im Sinne von § 185 StGB darstellt, sofern mit der Zuschreibung nicht die Tatsachenbehauptung gemeint ist, die Person habe eine Sexualstraftat gegen ein Kind begangen (dann üble Nachrede oder Verleumdung). Ob ein Bundesminister sich von der Zeitung für Deutschland »Kinderschänder« nennen lassen mag, ist seine Sache; der Minister wird gewiss keinen Strafantrag stellen.
Am 27. September 2022 hat die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag einen Antrag »IP-Adressen rechtssicher speichern und Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen« eingebracht (BT-Drucksache 20/3687). Der federführende Rechtsausschuss hat, nach allerlei Vertagungen, am 11. Oktober 2023 eine öffentliche Sachverständigenanhörung durchgeführt. Da sprachen sich nur drei der zehn Sachverständigen (Bund deutscher Kriminalbeamter, Staatsanwalt Frankfurt/M., Deutscher Richterbund) ausdrücklich für den Antrag aus, einer hielt ihn für rechtskonform umsetzbar. Fünf Sachverständige hielten das Vorhaben für unverhältnismäßig und für mit Verfassungs- und Europarecht nicht vereinbar. Das BKA beschränkte sich auf die Darlegung technischer Möglichkeiten (siehe Stellungnahmen der Sachverständigen zur Anhörung am 11. Oktober 2023) und darf daher als neutral gewertet werden.
Wie auch immer: Die vier mitberatenden Ausschüsse (Innen, Wirtschaft, Familie, Digitales) haben sämtlich die Ablehnung des Antrags empfohlen. Der Rechtsausschuss hat am 15. November beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, den Antrag abzulehnen. Die Begründung dafür ist der Drucksache 20/2597 zu entnehmen und lässt sich kurz so zusammenfassen: populistisch vorgeschobener Antragszweck; Unvereinbarkeit mit Verfassungs- und EU-Recht; Unverhältnismäßigkeit. Dabei fiel besonders ins Gewicht, dass die vorgeschlagene Speicherung von IP-Adressen und Ports sich im Ergebnis gar nicht von der bereits früher gescheiterten Vorratsdatenspeicherung unterscheide, die Zielbestimmung »Kinderschutz vor sexuellem Missbrauch« willkürlich sei, da die Regelung alle Kriminalitätsbereiche erfassen würde, die Regelung praktisch ungeeignet und die vorgesehene Speicherfrist willkürlich sei.
Es ist immer wieder daran zu erinnern, dass »sexuelle Gewalt« ein eher politischer, kriminologischer und medialer Begriff ist, mit dem das Strafgesetzbuch und die Justiz schon deshalb fremdeln, weil er im Gesetz als solcher nicht nur nicht vorkommt, sondern ausdrücklich eine ganz andere Bedeutung hat. Dort ist »Gewalt« einer körperlichen Zwangseinwirkung vorbehalten. Dagegen wird in der Öffentlichkeit auch ein vollkommen zwangfreies, sogar ein einverständliches Verhalten als »Gewalt« bezeichnet.
Als schönes Beispiel für die Begriffsverwirrung, die zum Thema Gewalt herrscht, darf auf die Kleine Anfrage der ehemaligen Fraktion Die Linke verwiesen werden: »Datenlage zu verschiedenen Formen digitaler Gewalt« (BT-Drucksache 20/9170), auf welche die Bundesregierung in der Drucksache 20/9543 geantwortet hat. Zwölf eng bedruckte Seiten im Grenzbereich zwischen Sprache, Recht und Zeitgeist.
Von der »sexuellen Gewalt« werden in der Kriminalstatistik die »Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Netz« (42.500) unterschieden. Schon deshalb erscheint es zumindest klärungsbedürftig, welchen Beitrag die – wie auch immer genannte – Vorratsdatenspeicherung an der Aufklärung oder gar Bekämpfung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern haben sollte. Einmal abgesehen davon, dass ein sehr großer Teil der Netztäter ihrerseits Kinder oder Jugendliche sind, die sich kinder- und jugendpornografische Dateien gegenseitig zusenden oder vorzeigen.
Rechtlich gar nicht, politisch leicht nachvollziehbar war, dass der abermals wiederholte Antrag zur Einführung einer – angeblich neuen – Variante der Vorratsdatenspeicherung diesmal den (sexuellen) Kinderschutz in Leuchtbuchstaben als Agenda propagierte. Wobei man erstaunlicherweise den Schutz der Kinder vor ganz normaler häuslicher Gewalt durch Prügel, Einsperren usw. offenbar für weniger dringlich hielt.
Die altgoldene Boulevardregel, wonach zur Erreichung des größtmöglichen Publikums Sex, Kinder und Hunde am nützlichsten sind, gilt nach wie vor. Man kann sie für die Jetztzeit noch ein wenig ergänzen.
Dies meinen jedenfalls viele Menschen, die sich zugleich darüber empören, dass § 211 StGB vom Täter als »Mörder« spricht, § 212 StGB vom »Totschläger«, weil die Zuschreibung von Taten auf Tätercharaktere als sprachliches Erbe totalitären Denkens gilt. Das »Schänden« als Wesen und Straftat hat aber einen ganz besonders widerlichen Geschmack. Das kommt daher, dass es die dem Tätertypen zugeschriebene Verächtlichkeit ausdrücklich einer angeblichen »Schande« des Opfers zuschreibt. Wer Täter von Sexualstraftaten an Kindern (jedes Geschlechts) oder Frauen als Kinder- oder Frauenschänder bezeichnet, meint offenbar allen Ernstes, die Opfer solcher Straftaten würden hierdurch in einen Zustand der »Schande« versetzt. Dabei wird sogar noch sorgsam unterschieden: Von »Männerschändern« unter homosexuellen Männern liest man nie.
Dem Opfer einer Körperverletzung oder einer Erpressung würde in aller Regel nicht einfallen, sich als geschändet zu betrachten. Dies ist – sprachlich – Personen vorbehalten, an denen »sich vergangen« oder »sich vergriffen« wird. Die ganz Terminologie atmet, wie auch die des Missbrauchs von Kindern, eine veraltete und opferfeindliche Ideologie von Gebrauchsberechtigung und Verfügungsgewalt. Insofern ist es fast lustig, wenn ganz besonders entschlossene Kinderschützer wie Herr Deckers sich im Augenblick höchster Verfolgungslust auf allen Seiten von »Kinderschändern« umzingelt sehen.
Die Kehrseite davon ist, dass die Bezeichnung einer Person als »Kinderschänder« eine ziemlich grobe Beleidigung im Sinne von § 185 StGB darstellt, sofern mit der Zuschreibung nicht die Tatsachenbehauptung gemeint ist, die Person habe eine Sexualstraftat gegen ein Kind begangen (dann üble Nachrede oder Verleumdung). Ob ein Bundesminister sich von der Zeitung für Deutschland »Kinderschänder« nennen lassen mag, ist seine Sache; der Minister wird gewiss keinen Strafantrag stellen.
Am 27. September 2022 hat die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag einen Antrag »IP-Adressen rechtssicher speichern und Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen« eingebracht (BT-Drucksache 20/3687). Der federführende Rechtsausschuss hat, nach allerlei Vertagungen, am 11. Oktober 2023 eine öffentliche Sachverständigenanhörung durchgeführt. Da sprachen sich nur drei der zehn Sachverständigen (Bund deutscher Kriminalbeamter, Staatsanwalt Frankfurt/M., Deutscher Richterbund) ausdrücklich für den Antrag aus, einer hielt ihn für rechtskonform umsetzbar. Fünf Sachverständige hielten das Vorhaben für unverhältnismäßig und für mit Verfassungs- und Europarecht nicht vereinbar. Das BKA beschränkte sich auf die Darlegung technischer Möglichkeiten (siehe Stellungnahmen der Sachverständigen zur Anhörung am 11. Oktober 2023) und darf daher als neutral gewertet werden.
Wie auch immer: Die vier mitberatenden Ausschüsse (Innen, Wirtschaft, Familie, Digitales) haben sämtlich die Ablehnung des Antrags empfohlen. Der Rechtsausschuss hat am 15. November beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, den Antrag abzulehnen. Die Begründung dafür ist der Drucksache 20/2597 zu entnehmen und lässt sich kurz so zusammenfassen: populistisch vorgeschobener Antragszweck; Unvereinbarkeit mit Verfassungs- und EU-Recht; Unverhältnismäßigkeit. Dabei fiel besonders ins Gewicht, dass die vorgeschlagene Speicherung von IP-Adressen und Ports sich im Ergebnis gar nicht von der bereits früher gescheiterten Vorratsdatenspeicherung unterscheide, die Zielbestimmung »Kinderschutz vor sexuellem Missbrauch« willkürlich sei, da die Regelung alle Kriminalitätsbereiche erfassen würde, die Regelung praktisch ungeeignet und die vorgesehene Speicherfrist willkürlich sei.
Es ist immer wieder daran zu erinnern, dass »sexuelle Gewalt« ein eher politischer, kriminologischer und medialer Begriff ist, mit dem das Strafgesetzbuch und die Justiz schon deshalb fremdeln, weil er im Gesetz als solcher nicht nur nicht vorkommt, sondern ausdrücklich eine ganz andere Bedeutung hat. Dort ist »Gewalt« einer körperlichen Zwangseinwirkung vorbehalten. Dagegen wird in der Öffentlichkeit auch ein vollkommen zwangfreies, sogar ein einverständliches Verhalten als »Gewalt« bezeichnet.
Als schönes Beispiel für die Begriffsverwirrung, die zum Thema Gewalt herrscht, darf auf die Kleine Anfrage der ehemaligen Fraktion Die Linke verwiesen werden: »Datenlage zu verschiedenen Formen digitaler Gewalt« (BT-Drucksache 20/9170), auf welche die Bundesregierung in der Drucksache 20/9543 geantwortet hat. Zwölf eng bedruckte Seiten im Grenzbereich zwischen Sprache, Recht und Zeitgeist.
Von der »sexuellen Gewalt« werden in der Kriminalstatistik die »Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Netz« (42.500) unterschieden. Schon deshalb erscheint es zumindest klärungsbedürftig, welchen Beitrag die – wie auch immer genannte – Vorratsdatenspeicherung an der Aufklärung oder gar Bekämpfung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern haben sollte. Einmal abgesehen davon, dass ein sehr großer Teil der Netztäter ihrerseits Kinder oder Jugendliche sind, die sich kinder- und jugendpornografische Dateien gegenseitig zusenden oder vorzeigen.
Rechtlich gar nicht, politisch leicht nachvollziehbar war, dass der abermals wiederholte Antrag zur Einführung einer – angeblich neuen – Variante der Vorratsdatenspeicherung diesmal den (sexuellen) Kinderschutz in Leuchtbuchstaben als Agenda propagierte. Wobei man erstaunlicherweise den Schutz der Kinder vor ganz normaler häuslicher Gewalt durch Prügel, Einsperren usw. offenbar für weniger dringlich hielt.
Die altgoldene Boulevardregel, wonach zur Erreichung des größtmöglichen Publikums Sex, Kinder und Hunde am nützlichsten sind, gilt nach wie vor. Man kann sie für die Jetztzeit noch ein wenig ergänzen.