Silvester im Urlaub
Verfasst: 25.03.2010, 02:20
Dies hier ist ein Übertrag einer wahren Begebenheit aus einem geschlossenem Forum. Sie passierte kurz nach dem Erpressungs-Desaster mit gutem Ausgang.
Ich möchte sie mit euch teilen. Es berührt mich immer noch.
Silvester im Urlaub
"Laaangweilig", dachte ich mir. Wir saßen an einem kleinen Tisch wie viele andere Familien und Pärchen in einem großen Theater-Raum. Auf der Bühne irgendwelche langweilige Sänger an drei Mikrofonen, die irgendetwas sangen. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber das kann man sich doch den ganzen Abend nicht antun, nur um auf das Feuerwerk zu warten. Das Gleiche mussten sich viele Kinder auch gedacht haben. Mit der Entschuldigung etwas zu Trinken an der Bar zu holen stromerte ich herum und entdeckte mäßig bevölkerte Billiard-Tische. Gelangweilte Kinder (kein Wunder) machten dort ihre eigene kleine Party. Profi-Billard-Spieler wären neidisch geworden, wie phantasievoll die Kinder Requisiten in das Spiel miteinfließen lassen konnten. Zuvor wurden Hüte, Schmuck und Tröten für die Silvesterfeier verteilt, die dort gleich als Pfeife für den Schiedsrichter und Objekte für eine Art Hindernisparkur umfunktioniert wurden.
Unglücklicherweise lagen die Billard-Tische etwas ungünstig am Rand des offenen Theaters, direkt an einem am Geländer und dahinter schon der Garten. "Selbstlos" wie ich bin rette ich verschossene Kugeln aus dem Garten. Direkt gefunden habe ich sie nicht.
Ich orientierte mich größtenteils an den verwirrenden französischen Anweisungen der Leitung des Suchkommandos oben am Geländer. Ungünstigerweise verstehe ich kein(!) Wort französisch.
So wie ich dort hilflos in den Büschen herumstocherte, hörte ich immer wieder ein kleines süßes Kichern, das sich an meiner emsigen Suche erfreute. Schon bald fand ich heraus, dass sie doch nicht ganz so unbeteiligt am "versehentlichen" Fortkommen der Kugeln sein musste. Ich schätzte sie auf ca. 9 Jahre.
Mit einem reglementierenden Tröten verwies ich sie mit einer roten Karte vom Feld. Sie zog ein etwas traurig-grimmiges Gesicht, kam zu mir und bedeutete mir mich herunterzubeugen, im Vertrauen wollte sie mir wohl etwas mitteilen. Ein ohrenbetäubendes Tröten zerriss die Luft, doch tat es angesichts ihres mehr liebfreudigen als schadenfreudigen Lachens doch nur halb so weh. Als Entschädigung führte sie mich (sie griff sich einfach meine Hand) zu der Bar und bestellte sich zwei Pina Colada. Moment... War das nicht mit Alkohol? Bevor ich mich versah, strömte durch ihren Strohalm die süße weiße Flüssigkeit, mit ganz weit geöffneten Augen und angespannt konsumierte sie knapp die Hälfte ihres Drinks und tat benommen, aber nach einem kurzen Schrecken merkte auch ich, dass ich ihr schon wieder auf den Leim gegangen war. Wer würde einem Kind schon Alkohol-Drinks mischen? Zugegeben, ich war auf alles gefasst. Schliesslich schickten ja viele Eltern ihre Kinder um Bier zu holen. Aber das ist eine anderes Thema.
Mein etwas entsetztes Gesicht muss sie wieder zum Lachen gebracht haben und sie reichte mir meinen süßen Kokosnuss-Drink. Wir schauten uns an und schlürften, es entartete zu einer Art wettrennen, sie gewann. Ich weiß nicht einmal ob ich mir selbst einen Streich spielte und sie gewinnen ließ oder ob sie durch ihren Scherz einen Vorsprung hatte. Soviel Gedanken konnte ich daran nicht verlieren, denn ich war lange nicht mehr so glücklich. Es machte überhaupt nichts aus, dass wir uns sprachlich nicht verständigen konnten, wir verstanden uns so unglaublich gut. Wir machten noch lustige Fotos von uns und benutzten dafür die uns zur Verfügung stehenden Requisiten.
Der Abend verging unglaublich schnell und zuletzt betrachteten wir eng aneinandergelehnt noch das Feuerwerk. Ich merkte gar nicht, dass ihre Eltern in der Nähe waren. Nach dem Feuerwerk wurde sie gerufen und ich sah von moderater Entfernung noch wie sie sich wild artikulierte und unter anderem auf mich zeigte.
Dann drehte sie sich langsam zu mir und je näher sie kam, desto deutlicher sah ich ihre feuchten Augen. Ich muss mit offenem Mund dagestanden haben, sprachlos, selbst die Tränen gerade noch so unterdrückend. Es konnte nämlich nur eins bedeuten, dass sie so früh von der Feier schon weggingen. Sie mussten morgen früh wohl schon abreisen. Sie stand sehr nah vor mir und nahm ihre Plastikkette mit Goldperlen ab, ich beugte mich automatisch etwas herunter und sie hing mir die Kette um. Wir standen uns noch eine halbe Ewigkeit eingefroren und die Tränen unterdrückend gegenüber, dann wurde sie von ihren Eltern weggezogen, die mich wohl etwas verwirrt gemustert haben müssen. Schliesslich wurde ich irgendwo in der Ecke sitzend von meiner Familie gefunden. Ich vertuschte schnell meine Traurigkeit und schauspielerte wie ich es gewohnt bin. Dann trank ich mehr oder weniger zwanghaft den Sekt mit.
Ich konnte sehr schwer einschlafen und stellte meinen Wecker früh. Die meisten wurden so gegen 9 abgeholt um zum Flughafen gefahren zu werden.
Ich sprang morgens aus dem Bett, schnappte mir meine Kamera und lief zu dem Laden, bei dem man Fotos von der Digicam auf Fotopapier drucken konnte. Warum waren hier so viele Leute? Ich sah nicht einmal auf die Uhr. Ich wollte nur dieses eine Foto wenigstens ausdrucken.
Ich rannte mit dem Foto zur Rezeption, wo normalerweise die Leute standen, die abgeholt werden. Ich sah mich um. Aber ich sah keine Koffer, ich sah auch keine Menschen, die so angezogen sein könnten als würden sie gleich wieder abreisen. Ich schaute auf die Uhr, 10 nach 9. Nein. Ich war doch schnell? So schnell. Ich musste ihr doch noch was geben. Meine Kopf füllte sich mit Anweisungen und Pflichten, die ich mir doch so fest vorgenommen hatte bis ich auf einer Bank niedersank und die bittere Wahrheit schonungslos auf mich in Wellen einwirkte. Ich sah auf das Foto auf dem wir beide unsere Drinks schlürften und gleichzeitig in die Kamera grinsten. Es regnete nicht, und trotzdem rannen Tropfen an diesem Foto herunter, an ihrem Gesicht...
Ich griff in die Tasche und wiegte die Kette mit den goldenen Plastikperlen in meiner Hand. Ich weiß nicht mehr wie ich den Rest des Urlaubs noch genießen konnte, sie war nicht da, aber sie hat mich immer irgendwie begleitet, ihre Kichern, ihr Selbstbewusstsein und ihre Liebe.
Ich möchte sie mit euch teilen. Es berührt mich immer noch.
Silvester im Urlaub
"Laaangweilig", dachte ich mir. Wir saßen an einem kleinen Tisch wie viele andere Familien und Pärchen in einem großen Theater-Raum. Auf der Bühne irgendwelche langweilige Sänger an drei Mikrofonen, die irgendetwas sangen. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber das kann man sich doch den ganzen Abend nicht antun, nur um auf das Feuerwerk zu warten. Das Gleiche mussten sich viele Kinder auch gedacht haben. Mit der Entschuldigung etwas zu Trinken an der Bar zu holen stromerte ich herum und entdeckte mäßig bevölkerte Billiard-Tische. Gelangweilte Kinder (kein Wunder) machten dort ihre eigene kleine Party. Profi-Billard-Spieler wären neidisch geworden, wie phantasievoll die Kinder Requisiten in das Spiel miteinfließen lassen konnten. Zuvor wurden Hüte, Schmuck und Tröten für die Silvesterfeier verteilt, die dort gleich als Pfeife für den Schiedsrichter und Objekte für eine Art Hindernisparkur umfunktioniert wurden.
Unglücklicherweise lagen die Billard-Tische etwas ungünstig am Rand des offenen Theaters, direkt an einem am Geländer und dahinter schon der Garten. "Selbstlos" wie ich bin rette ich verschossene Kugeln aus dem Garten. Direkt gefunden habe ich sie nicht.
Ich orientierte mich größtenteils an den verwirrenden französischen Anweisungen der Leitung des Suchkommandos oben am Geländer. Ungünstigerweise verstehe ich kein(!) Wort französisch.
So wie ich dort hilflos in den Büschen herumstocherte, hörte ich immer wieder ein kleines süßes Kichern, das sich an meiner emsigen Suche erfreute. Schon bald fand ich heraus, dass sie doch nicht ganz so unbeteiligt am "versehentlichen" Fortkommen der Kugeln sein musste. Ich schätzte sie auf ca. 9 Jahre.
Mit einem reglementierenden Tröten verwies ich sie mit einer roten Karte vom Feld. Sie zog ein etwas traurig-grimmiges Gesicht, kam zu mir und bedeutete mir mich herunterzubeugen, im Vertrauen wollte sie mir wohl etwas mitteilen. Ein ohrenbetäubendes Tröten zerriss die Luft, doch tat es angesichts ihres mehr liebfreudigen als schadenfreudigen Lachens doch nur halb so weh. Als Entschädigung führte sie mich (sie griff sich einfach meine Hand) zu der Bar und bestellte sich zwei Pina Colada. Moment... War das nicht mit Alkohol? Bevor ich mich versah, strömte durch ihren Strohalm die süße weiße Flüssigkeit, mit ganz weit geöffneten Augen und angespannt konsumierte sie knapp die Hälfte ihres Drinks und tat benommen, aber nach einem kurzen Schrecken merkte auch ich, dass ich ihr schon wieder auf den Leim gegangen war. Wer würde einem Kind schon Alkohol-Drinks mischen? Zugegeben, ich war auf alles gefasst. Schliesslich schickten ja viele Eltern ihre Kinder um Bier zu holen. Aber das ist eine anderes Thema.
Mein etwas entsetztes Gesicht muss sie wieder zum Lachen gebracht haben und sie reichte mir meinen süßen Kokosnuss-Drink. Wir schauten uns an und schlürften, es entartete zu einer Art wettrennen, sie gewann. Ich weiß nicht einmal ob ich mir selbst einen Streich spielte und sie gewinnen ließ oder ob sie durch ihren Scherz einen Vorsprung hatte. Soviel Gedanken konnte ich daran nicht verlieren, denn ich war lange nicht mehr so glücklich. Es machte überhaupt nichts aus, dass wir uns sprachlich nicht verständigen konnten, wir verstanden uns so unglaublich gut. Wir machten noch lustige Fotos von uns und benutzten dafür die uns zur Verfügung stehenden Requisiten.
Der Abend verging unglaublich schnell und zuletzt betrachteten wir eng aneinandergelehnt noch das Feuerwerk. Ich merkte gar nicht, dass ihre Eltern in der Nähe waren. Nach dem Feuerwerk wurde sie gerufen und ich sah von moderater Entfernung noch wie sie sich wild artikulierte und unter anderem auf mich zeigte.
Dann drehte sie sich langsam zu mir und je näher sie kam, desto deutlicher sah ich ihre feuchten Augen. Ich muss mit offenem Mund dagestanden haben, sprachlos, selbst die Tränen gerade noch so unterdrückend. Es konnte nämlich nur eins bedeuten, dass sie so früh von der Feier schon weggingen. Sie mussten morgen früh wohl schon abreisen. Sie stand sehr nah vor mir und nahm ihre Plastikkette mit Goldperlen ab, ich beugte mich automatisch etwas herunter und sie hing mir die Kette um. Wir standen uns noch eine halbe Ewigkeit eingefroren und die Tränen unterdrückend gegenüber, dann wurde sie von ihren Eltern weggezogen, die mich wohl etwas verwirrt gemustert haben müssen. Schliesslich wurde ich irgendwo in der Ecke sitzend von meiner Familie gefunden. Ich vertuschte schnell meine Traurigkeit und schauspielerte wie ich es gewohnt bin. Dann trank ich mehr oder weniger zwanghaft den Sekt mit.
Ich konnte sehr schwer einschlafen und stellte meinen Wecker früh. Die meisten wurden so gegen 9 abgeholt um zum Flughafen gefahren zu werden.
Ich sprang morgens aus dem Bett, schnappte mir meine Kamera und lief zu dem Laden, bei dem man Fotos von der Digicam auf Fotopapier drucken konnte. Warum waren hier so viele Leute? Ich sah nicht einmal auf die Uhr. Ich wollte nur dieses eine Foto wenigstens ausdrucken.
Ich rannte mit dem Foto zur Rezeption, wo normalerweise die Leute standen, die abgeholt werden. Ich sah mich um. Aber ich sah keine Koffer, ich sah auch keine Menschen, die so angezogen sein könnten als würden sie gleich wieder abreisen. Ich schaute auf die Uhr, 10 nach 9. Nein. Ich war doch schnell? So schnell. Ich musste ihr doch noch was geben. Meine Kopf füllte sich mit Anweisungen und Pflichten, die ich mir doch so fest vorgenommen hatte bis ich auf einer Bank niedersank und die bittere Wahrheit schonungslos auf mich in Wellen einwirkte. Ich sah auf das Foto auf dem wir beide unsere Drinks schlürften und gleichzeitig in die Kamera grinsten. Es regnete nicht, und trotzdem rannen Tropfen an diesem Foto herunter, an ihrem Gesicht...
Ich griff in die Tasche und wiegte die Kette mit den goldenen Plastikperlen in meiner Hand. Ich weiß nicht mehr wie ich den Rest des Urlaubs noch genießen konnte, sie war nicht da, aber sie hat mich immer irgendwie begleitet, ihre Kichern, ihr Selbstbewusstsein und ihre Liebe.