kafka hat geschrieben:wir können nicht erwarten, dass Schritt 2 vor Schritt 1 passiert. Mir persönlich ist es wichtiger, dass solche Sätze gefallen sind: "Wegen seiner sexuellen Fantasien sollten wir daher niemanden verurteilen, auch keinen Pädophilen."
Dieser Satz verfliegt aber im Nichts bei Betrachtung des gesamten Interviews. Weil ja am Ende doch eine Verurteilung folgt, nämlich diese, dass noch nicht zu Tätern gewordene Pädophile Kontakte zu Kindern meiden und sich in Therapie begeben sollen. Das steht so nicht im Interview, ich weiß (indirekt, mindestens subtil suggestiv aber schon). Aber könnte nicht im Normalfall der Leser eben gerade so urteilen? Spätestens, wenn er von Beier und seinen Kollegen noch mehr gelesen hat oder liest, ist das sehr wahrscheinlich.
Ein Schritt nach vorne ist es sicher nicht, genausowenig - zugegeben - ein Schritt nach Hinten. Viel mehr geht's in's Ungewisse und ich mag erahnen, in welche Richtung wir uns bewegen: Die rechtlich unbedenkliche Anordnung zur Zwangstherapie, wenn eine "Pädophilie" festgestellt wird (was auch immer das ist - Beier selbst greift ja schon in dem Interview, je nach Intention, mindestens 3 verschiedene Definitionen von Pädophilie auf). Gut, das geht jetzt wirklich über die Diskussion hier hinaus. Aber lass' es mich doch sagen, es nervt mich eben und nagt an mir - und ich will zeigen, warum ich bzgl. des hier teils sehr positiv Eingeschätzten sehr skeptisch und pessimistisch bin.
Den Schritt, den Du als ersten bezeichnest, ist man schon vor fünf und auch vor zehn und auch vor zwanzig Jahren in Interviews - mit teils wesentlich größerer Reichweite - gegangen. Der erste ist es nicht und irgendwann muss man auch mal voran kommen. Wie wäre es, wenn Beier damit anfängt, seine Antworten auf die Frage, was denn Pädophilie sei, mal zu überdenken? Vor Beier sprachen andere bereits von (emotional-erotisch-sexuellem) Hingezogenfühlen zu Kindern. Wenn man davon spricht, dass sich Jemand zu Kindern hingezogen fühlt, dann wirkt das bereits ganz anders, als wenn man davon spricht, dass Jemand Sex mit Kindern will, wenn man die Gefühle strikt auf sexuelles reduziert oder auch wenn man von "Neigung" spricht (suggeriert, zu einer Handlung geneigt zu sein, auch wenn "wir" wissen, dass damit lediglich das Persönlichkeitsmerkmal gemeint ist - weiß es und reflektiert das auch die Zielgruppe für dieses Interview?).
kafka hat geschrieben:Der durchschnittliche T-Online-Leser versteht doch unter pädophile "Neigung ausleben", sich hinter Büschen im Stadtpark zu verstecken und dann zu gegebener Zeit den Trenchcoat herunterzureißen und sich zu entblößen.
Stimmt schon.
Deshalb erklärt ja Beier vorweg schon, dass "Pädophile" "Durch ihre Überlegenheit immer, aber meist eben nicht körperlich" Gewalt ausüben. Danach die Sache mit der sexuellen Beziehung und die bloße soziale Kontaktanbahnung ist der sexuelle Annäherungsversuch. Beier bringt dem Leser auf die Weise mindestens unterschwellig recht gut bei, wie unverantwortliche Pädophile handeln (es sei denn sie [er]geben sich in Therapie). Ich reibe mich aber nicht an so einzelnen Sätzen auf, sondern betrachte eben das Interview insgesamt in seiner Wirkung. Die Leser suchen schließlich auch nicht genau nach den Stellen, wo Pädophilie nur harmlos erscheint, sondern behalten einen Gesamteindruck, der m.E. nicht positiv und förderlich für menschlichen Umgang mit uns ist.
Sind wir wirklich so tief gesunken, dass wir aus diesem Interview und ähnlichen uns eine positivere Zukunft ersinnen?
lg kim