Hallo Mephisto,
Mephisto hat geschrieben:Ich kann Sakura hier nicht rechtgeben.
Das ist schade.
Und doch habe ich - wie immer - auch hier Recht
Sakura hat geschrieben:Wer hier hofft einen Perv-Fim zu sehen und sozusagen mit einer Augenklappe ins Kino geht, der wird nur an der Oberfläche kratzen.
Ich fürchte, diesen Fehler hast Du ungewollt begangen. Ein versäumnis, das nicht schlimm ist, denn für einen Pädo ist es verständlich und es kann jederzeit korrigiert werden: Auch ich habe ja zunächst mich auf die Geschichte des Perv konzentriert, um zu sehen, was es Neues über diese Sorte zu verfilmen gibt.
Natürlich ist es kein typischer Film über Pädos, aber es ist eben auch kein typsicher Film über die Liebe.
Ganz richtig. Es ist ein untypischer Film über Liebe, weil er auf jede Verklärung verzichtet. Dioe Botschaft besteht zu einem erheblichen teil in den rasch ausgestoßenen philosophischen Sätzen des Chris im Verhörzimmer, die sich in der ganzen folgenden Handlung bestätigen und entfalten.
Chris nimmt eine geradezu nihilistische Position ein: Er stellt der Verklärung und den Hoffnungen, die mit starken Gefühlen fü einen anderen unweigerlich verbunden sind, die ungeschönte Realität gegenüber: Man darf auf grund solcher Gefühle rein gar nichts erwarten!
Die Handlung führt diese Aussage unmissverständlich aus: Es geht Chris nicht darum, die Sorte Liebe die er empfindet, moralisierend zu verklären als die "reinere", die keine gegenleistung erwartet, sondern er macht eine Aussage, für die er (und er Filmemacher) allgemeine Gültigkeit beansprucht. Diese Gefühle sind immer zerstörerisch. Man kann daran zugrunde gehen, wie die Kommissarin, man kann stumm leiden wie Chris, man kann eine ungeheuerliche Intrige begehen, wie der frühere Seitensprung-Partner der Kommissarin, und man kann, wie der Ehemann der Kommissarin, daran leiden und sich zurück ziehen, um dem Glück der anderen, geliebten Person nicht im Wege zu stehen, wie der Ehemann der Kommissarin.
Ich weiß nicht, ob Du die vielschichtige Konstruktion der Lebensgeschichten erfasst hast.
Wenn man einmal die Geschichte der Kommissarin unberücksichtigt lässt, [...]
Und genau das kann man nicht, denn sie bezieht ihre erzählerische Gültigkeit nur aus der Geschichte des Pervs.
[...]zeigt der Film die Gefühle eines liebenden Pädos, so wie sie wahrscheinlich noch nie gezeigt wurden.
Das stimmt wieder, aber diese Gefühle werden gezeigt, um ihre bodenlose Tragik zu demonstrieren. Dass es dem Perv mit seinen Gefühlen nicht gut gehen darf/kann, ist dem Zuschauer von vornherein klar. Man kann davon ausgehen, dass den Autoren die zunächst feindselige Haltung der Zuschauer diesem gegenüber bewusst ist und deshalb der Perv als Demonstrationsobjekt dieser Tragik gewählt wurde, um im Verlauf der Handlung zu zeigen, dass es allen anderen genauso geht: Entweder sie leiden oder sie sind Getriebene, meistens aber beides zugleich und begehen und erdulden folgenschwere Fehler.
Und wenn man das Schicksal der Kommissarin Maggie miteinbezieht, macht man eine erstaunliche Entdeckung: auf der einen Seite gibt es den vermeintlichen Normalo, der die wahre Liebe nicht erreicht, daran scheitert; auf der anderen Seite gibt es den Pädo, der zwar an der Liebe zerbricht, aber sie am Ende dennoch findet... Wenn das keine ungewöhnliche Perspektive ist...
Man kann zwar feststellen, dass die Liebe des Pervs erwidert wird, wie in der Schlussszene deutlich wird, aber was dann kommt, wissen beide und das weiß der Zuschauer auch: Die Kleine ist der Gesellschaft in der sie lebt, zur totalen Verfügung ausgesetzt: als Kind, wie bei der Begegnung mit der Jugendamts-Frau deutlich wird, und als "Illegale", über die behördlich verfügt werden wird. Chris selbst sieht sich einer Anklage wegen Menschanhandels, Mord oder Totschlags ausgesetzt. Jedenfalls ist seine Existenz vorläufig erledigt.
Dieser Rahmen um die Erzählung schließt ein Happy-End aus, was die Schlussszene um so tragischer macht.
Der Film beansprucht, die ungeschönte Wirklichkeit über Liebe zu erzählen. Wird er diesem Anspruch gerecht? Als die Kommissarin mit ihrem ehemaligen Seitensprung-Partner bei einem Wolkenbruch im Auto saß, wird bei dem Dialog deutlich, welchen Berg von Trümmern sie angehäuft haben und dass das äußere Geschehen, das vom Zuschauer zunächst nur in die Kategorie "geflohener Familienvater" einordnen konnte, etwas ganz anderes ist, nämlich die Folge der starken Gefühle von Personen füreinander, die davon zu Handlungen getrieben werden, die ihre Beziehungen zu einer Quelle dauerhaften Leidens machen.
Der Alptraum war nach dem Schluss des Films nicht zu Ende. Wir haben als zwei Pervs den Film gesehen, danach noch etwas darüber gesprochen, um die Eindrücke zu sortieren, haben noch Kleinigkeiten erledigt, gegessen und dann, als ich zu Hause aus dem Auto steigen wollte, blieb ich wegen eines Wolkenbruchs noch drin und wir nutzten die Zeit, noch etwas über den Film zu reden. Da saßen also zwei Pervs, die jeder auf seine Weise auf sein eigenes Trümmerfeld zurückblicken konnten. Ungefähr so wie im Film bei einem Wolkenbruch im Auto die wirkliche Größe der Zerstörungen im Leben der Insassen deutlich wurde. Da war mir klar, dass dieser Film die Realität ist und jede Verklärung starker Gefühle eine Flucht aus der Realität. Den Normalos die das verstanden haben kann man jetzt als Perv zurufen: "Willkommen im Club!"
Sakura
"Destiny is always revised. Anytime, everywhere." (Siddhartha)