"Wir werden es nie erfahren." Das kotzt mich ja am meisten an. Denn das bedeutet, dass die Tat, der Täter und die Opfer vergessen werden. Nach dem Prozess wird niemand mehr daran denken, außer die beteiligten, die Pressearbeit ist dann zuende. Eine widerwärtige Kultur.In der Rumpelkammer lebenslanger Lügen
Bei Prozessen gegen Pädophile geht es jetzt immer um den „Hang“ zum Verbrechen. Also um Sicherungsverwahrung.
Selbst der Verteidiger forderte neun Jahre für seinen pädophilen Mandanten aus dem bis kürzlich unbekannten Kaff Fluterschen. Die Anklage wollte und bekam Sicherungsverwahrung für den hundertsechzigfachen Täter. Um das durchzupeitschen, musste dem Familienvater ein „Hang“ zur sexuellen Kinderliebe nachgewiesen werden. Einen solchen Hang nämlich kann man aus psychologischer Erfahrung weder wegwünschen noch wegtherapieren.
Die Sicherungsverwahrung ist neuerdings der Kern aller Pädophilen-Prozesse. Sie kann nachträglich nicht mehr gut verhängt werden, seit das höchste europäische Gericht Deutschland mehrmals zur Ordnung gerufen hat. Man hat hierzulande, in den Worten eines Knackis in der aktuellen Ausgabe der „Kriminalistik“, den Häftlingen mit leichtfertigen nachträglichen Sicherungsverwahrungen „das Licht am Ende des Tunnels ausgeknipst“. Dieses „Licht“ war die Zusage, dass kein Mensch ohne Hoffnung auf Freilassung weggesperrt werden darf. Wer aber Hang-Täter ist, handelt sich leicht das faktische „lebenslang“ ein.
Fragt sich also, ob eine oft wiederholte Tat nicht auf Gelegenheiten, sondern eingefrästen Fantasien beruht. Opfer waren im aktuellen Fall die eigenen Kinder. Der Täter musste sie also weder entführen noch auf dem Strich kaufen. Einen solchen direkten Zugang suchen eingefleischte Pädophile. Haben sie selbst keine Kinder, dann machen sie sich auch häufig an kaputte Familien heran. Dort sind sowohl die Kinder als auch die überlasteten Mütter mitunter froh, durch den Gönner Reisen, Bildung, Zuwendung und kneipenterrorfreie Abende zu erleben.
Viele Pädophile begreifen dabei nicht, dass man mit Kindern zwar kuscheln, aber nicht „kuscheln“ darf. „Die Jungs mochten das“, sagte mir kürzlich ein Täter, „denn Gewalt lehne ich ab.“ Fast wirkte das glaubwürdig. Die Föhnfrisur des Mannes saß, seine Hände waren die eines Schreibtischmenschen und seine Worte so gewählt, dass selbst die Richterin sie teils nicht kannte. Seine Gewalt bestand nicht aus Schlägen und Fesseln, sondern aus einnehmender Zuneigung. Und doch gab es einen Bruch. Der Täter rechnete buchhalterisch vor, wie oft er mit seinen Schützlingen Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Nach ein wenig Feilschen („Ich wurde älter und konnte nicht mehr mehrmals pro Woche mit den Jungs verkehren“) verminderte sich die Zahl der zunächst angeklagten sechshundert Fälle auf wenige hundert Delikte.
Nun hat noch nie ein Kind die vor Gericht sogenannten „Handlungen“ gern begangen, und ebenso wenig ist dabei je etwas biografisch Gutes herausgekommen. Dass der Familienvater aus Fluterschen gestanden hat, kann daher bedeuten, dass er sich wirklich vor sich selbst fürchtet. Vielleicht hatte er aber auch bloß Angst vor seinen Mithäftlingen. Oder er glaubte, dem Gericht ausreden zu können, dass es ihm einen „Hang“ zum Missbrauch attestierte. Das misslang.
Ob angesichts der vielen Taten doch irgendwo ein mattes Lämpchen in der Rumpelkammer der lebenslangen Lügen und Rechtfertigungen im Kopf des Verurteilten glimmt? Wir werden es nie erfahren.
Mark Benecke arbeitet weltweit als Kriminalbiologe. Zu seinen Klienten zählen neben der Polizei auch Serienmörder, Anwälte und Eltern von Opfern.
http://www.fr-online.de/politik/meinung ... index.html
http://www.benecke.com/ hat übrigens bei mir einen recht guten Eindruck hinterlassen. Als tiefgründiger, inteligenter Mann habe ich ihn bei einer Talkshow in ARD oder ZDF in Erinnerung. Ach ich würd ihn am liebsten gerad mal unter der Nottelefonnummer ausm Bett klingeln und ihm meine Meinung sagen...
Jedenfalls können sie (so mag man glauben!) mit dieser Argumentation wenigstens niemanden für §184 in den Maßregelvollzug stecken.